Ein kurzes Schweigen entstand, und dann lehnte sich der Commissioner ohne ein weiteres Wort vor und schaltete die Spezialfunkeinrichtung auf seinem Schreibtisch ein. Sofort begannen sich unaufhörlich Polizeifunksprüche in das kleine Büro zu ergießen - Funksprüche aus allen Ecken des riesigen Stadtgebiets.
Die Reporter lauschten schweigend und rutschten unruhig hin und her, als die Meldungen nacheinander, sich fast überstürzend, eintrafen - aus Camden Square, aus Leamington, Italian Hill, Polishtown, South River, selbst aus den großen Vorstadtbezirken, wo die zahmen und respektablen Leute wohnten - Hunderte von Meldungen aller Art, ein schmutziger, erschreckender, unbarmherziger Strom.
»Ich nehme an, Gentlemen, daß Sie als Zeitungsleute den Code kennen«, sagte Hardy. »Aber falls einige von Ihnen ihn nicht kennen, so werde ich einen Augenblick übersetzen.« Dann nahm er die Meldungen, wie sie der Reihe nach hereinkamen: Ein Betrunkener liegt in der Gosse. Ein weiterer Betrunkener - erregt öffentliches Ärgernis. Überfallversuch verhindert. Raubüberfall auf einem Markt. Noch ein Betrunkener. Ein Unfall, an dem drei Wagen beteiligt sind, Ruf nach einem Ambulanzwagen. Ein Betrunkener. Streit in einem Haus - Mann mit Fleischmesser verletzt. Ein Wagen gestohlen. Versuchter Überfall - Mädchen verletzt, Ambulanzwagen erforderlich. Diebstahl in einem Warenhaus -ein Verdächtiger festgenommen. Rauferei zwischen Betrunkenen in einem Tanzlokal. Zwei Betrunkene. Unfall mit Fahrerflucht - Opfer ein kleiner Junge. Unfall, an dem zwei Wagen beteiligt sind - einer davon über eine Böschung hinabgestürzt. Verkehrsstauung auf dem Parkway - große Streiterei, Krawall. Ein Betrunkener. Noch ein Betrunkener - versucht mit Gewalt in Haus einzudringen. Vergewaltigungsversuch von einem Mädchen gemeldet, das aus einem Wagen geworfen wurde. Ein Betrunkener. Noch ein Betrunkener. Verdächtiges Individuum - vermutlich Schlüssellochgucker. Betrunkener. Betrunkener.
Hardys Stimme verstummte, aber die Meldungen gingen weiter und weiter, bis einige der Reporter aufstanden und sich auf den Schreibtisch des Commissioners stützten, um besser verstehen zu können. Farbstein rauchte friedlich vor sich hin, lächelte in sich hinein und hörte kaum hin.
Der Commissioner ließ den Funk so lange eingeschaltet, bis Hillis, leicht zusammenzuckend, ihn bat, abzustellen, was Hardy kurze Zeit später mit einem Schulterzucken tat.
»Und was beweist das alles?« fragte Hillis, der verdammt gut wußte, was es bewies.
»Das scheint mir offensichtlich«, sagte Hardy. »Das Polizeidepartement hat
viele Probleme. Seine Tätigkeit beschränkt sich, wie Sie zugeben werden, nicht
darauf, Prostituierte einzuschüchtern oder Schmiergelder von Spielbanken einzustecken.
Es versieht eine Aufgabe im Dienst der Öffentlichkeit, und zwar verdammt gut.«
- W. R. Burnett, Asphaltdschungel. München u.a. 1963
»Sehen Sie«, antwortete Bärlach langsam, ebenso sorgfältig jedes Wort überlegend wie Tschanz, »mein Verdacht ist nicht ein kriminalistisch wissenschaftlicher Verdacht. Ich habe keine Gründe, die ihn rechtfertigen. Sie haben gesehen, wie wenig ich weiß. Ich habe eigentlich nur eine Idee, wer als Mörder in Betracht kommen könnte; aber der, den es angeht, muß die Beweise, daß er es gewesen ist, noch liefern.«
»Wie meinen Sie das, Kommissär?« fragte Tschanz. Bärlach lächelte: »Nun,
ich muß warten, bis die Indizien zum Vorschein
gekommen sind, die seine Verhaftung rechtfertigen.« - Friedrich
Dürrenmatt, Der Richter und sein Henker. Zürich 1978
- (net)
Polizeiarbeit (4) Nur ein sekundäres und
relatives Ziel der kriminalpolizeilichen Öffentlichkeitsarbeit ist es, das Bild
der Polizei in der Bevölkerung positiv zu bestimmen, primär und absolut steht
sie unter dem Zwang, eine spezifische Art von Angst und Schrecken verbreiten
zu müssen, die das Umfeld polizeilicher Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen des allgemeinen
Schuldgefühls hält. - (net)
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