hototapete
Ich saß im Speisezimmer gegenüber einer Wand, die auf ihrer ganzen Fläche
mit einer großen Fotographie überklebt war, deren an sich reizloses Motiv aus
einer im Originalmaßstab abgebildeten Waldszenerie bestand: hinter einem Vordergrund
aus rosa Heidekraut und zur Mitte einer Lichtung hin, wie sie wohl im Schwarzwald
nicht anzutreffen ist, zumindest nicht nach dem klassischen Bild, das man von
ihm hat, da die sie umgebenden Bäume keine Tannen waren und auch (wenn ich sie
richtig identifiziere) einige Birken unter ihnen vorkamen, die Biegung eines
Flusses, welcher im oberen Teil des Fotos die fast runde Wiege entsprach, die
in den Wipfeln der hoch emporragenden Stämme von den ineinander übergehenden
Baumkronen gebildet wurde. Da ich mit dem Rücken zum Fenster saß, hatte ich
nicht den Sonnenuntergang - der übrigens noch zusätzlich durch einen niedergelassenen
Rollvorhang verdeckt war -, sondern lediglich - auf der Fotographie - die Lichtstreifen
im Blickfeld, die von den durch die Leisten hindurchdringenden Sonnenstrahlen
herrührten und so auf das Bild auftrafen, daß das Wasser des Flusses zu glitzern
schien. Darüber hinaus wirkten zwei Doppelleuchter mit brennenden Lampen links
und rechts von dem Bild, die eine am Fuß eines mächtigen Baumes, die andere
fast im Heidekraut - sie gehörten in Wirklichkeit zum Beleuchtungssystem des
Speisesaals - wie Bestandteile der Landschaftsimitation und (daran dachte ich
sogleich bei der Erinnerung an jenes berühmte Werk, von dem ein verkleinertes
und offenbar schlechtes Modell mir immerhin eine Vorstellung vermittelt hatte)
wie eine Entsprechung der Rolle, die eine Lampe in der verblüffenden, halb aus
einem Relief, halb aus einem Trompe l'Oeil bestehenden Komposition spielt, in
der Marcel Duchamp in einer ganz gewöhnlichen Landschaft, in deren Hintergrund
ein Wasserfall erglänzt, einen liegenden Frauenakt zeigt, von dem weder der
Kopf noch die Füße dargestellt sind und der zur vordergründigsten Aufgabe hat,
eine wirklich brennende Lampe zu tragen, während die anderen Elemente des Werkes,
ganz gleich wie sie darin abgebildet werden, nur als Trugbilder gegenwärtig
sind. Eine Gegenüberstellung von authentischer Realität (Lampe) und fingierter
Realität, ebenso wie im Sanatorium von Bühlerhöhe echte elektrische Wandleuchter
mit einer vorgetäuschten Landschaft, auf die in ihre Mitte das (weniger intensive,
aber in gewisser Weise echtere) durch ein Gitter gebrochene Licht des Sonnenuntergangs
fiel, eine komplexe Verbindung eingingen, in der sich mehrere Kategorien des
Kontrastes überschnitten - Licht und Schatten, Gegebenes und Gemachtes, Reales
und Irreales - und deren eigentümliche Zweideutigkeit sehr reizvoll war ...
Ist nun nicht die sogenannte Poesie, eine Empfindung, die der Geist in gleichem
Maße konstruiert wie er sie empfängt, nicht eben ein Zauber dieser Art, ein
Zwitterwesen, hervorgegangen aus einer Paarung von Spontaneität und Kunstfertigkeit
im Grenzbereich von Lüge und Wahrheit? Die verwirrenden Momente festzuhalten,
in denen alles in Frage gestellt zu sein scheint und zu versuchen, ihnen einen
zweiten Anlauf zu verschaffen oder ihrer Seltenheit dadurch entgegenzutreten,
daß man sich durch »Generatoren«, die man aus allem erreichbaren Material geschmiedet
hat, gleichwertige Momente erschließt, dies ist eines der wesentlichen Ziele
der Poesie in der Form des Schreibens, die sie bei gewissen Menschen annimmt,
die sich somit auf eine Jagd begeben haben, die erst mit ihnen selber zu Ende
gehen wird.
Ein Licht, das im Fall der realen wie in dem der
fotografierten Landschaft wie eine zweite, aufproji-zierte Bildfläche wirkte
und mit seinen unklaren Flecken, die durch ihre verschwommenen Umrißlinien noch
bedeutungsträchtiger erschienen, als wenn sie sich in geometrischer Strenge
dargestellt hätten, eine Phantasmagorie hervorbrachte, dies hatte sich mir nicht
etwa gezeigt, um mich etwas über mein Schicksal oder den Gang des Weltalls zu
lehren, sondern um - zufällig und wie durch eine seiner Natur innewohnende Bestimmung
- für mich etwas Licht auf die Poesie zu werfen. Mich
begreifen zu lassen, daß sie, entstanden aus einer Verbindung oder Verschmelzung
heterogener Glieder, nur ein Zwitterwesen sein kann, das - als Sirene,
Zentaur, Vogel Greif? - sich
im Reich der Doppeldeutigkeit bewegt. Mir den Gedanken einzugeben, daß sie,
um den Zauber auszustrahlen, der so sehr das Gefühl des Glücks
vermittelt, weniger eine eloquente oder tiefschürfende Botschaft zu verkünden
als vielmehr unvermittelt zu sagen hat, daß sie da ist. Auf das Seiende
projiziert, aber auch in es integriert und nicht etwa danebenstehend. Mich mit
einem Leitfaden zu versehen, indem es mir zeigte, daß sie, unabhängig von ihrem
Inhalt und gleich welche Form sie auch annimmt, weder Flucht aus dem Leben ist
noch Verkehr mit einer anderen Welt, sondern tatsächlich auf einem Überwirklichen
beruht, was sich - in einer Art und Weise, die sich ganz seltsam mit der Etymologie
überschnitt - der Wirkung von Lichtspuren verdankte, die zur dergestalt verwandelten
Wirklichkeit einer Landschaft oder zu der fiktiven Wirklichkeit eines Landschaftsfotos
hinzutraten. - (
leiris
)
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