Und in der Tat sind die Libyer die gesündesten
Menschen, die wir kennen. Ob gerade deswegen, kann ich nicht
bestimmt sagen, die gesündesten jedenfalls sind sie. Tritt beim
Brennen der Kinder ein Krampf auf, haben sie ein Mittel dafür
ausfindig gemacht. Sie gießen Urin vom
Bock drüber, da werden sie gesund.
Ich erzähle nur, was die Libyer selber erzählen. - (
hero
)
Nomaden (2) Im Jahre
1931 war der Telegrafenposten von Parecis, der in einer relativ
frequentierten Gegend dreihundert Kilometer nördlich von Cuiabà
und nur achtzig Kilometer von Diamantino entfernt liegt, von
unbekannten Indianern überfallen und zerstört worden, die aus
dem vermeintlich unbewohnten Tal des Rio do Sangue gekommen waren.
Diese Wilden hatte man beiços de pau genannt, Holzmäuler,
weil sie in der Unterlippe und in den Ohrläppchen Holzscheiben
trugen. Seither hatten sich ihre Überfälle in regelmäßigen Abständen
wiederholt, so daß die Piste etwa achtzig Kilometer weiter nach
Süden hatte verlegt werden müssen. Was die Nambikwara betraf,
Nomaden, die seit 1909 immer wieder in den Posten aufgetaucht
waren, so unterhielten sie mit den Weißen sehr wechselhafte Beziehungen.
Zu Beginn waren sie recht gut gewesen, hatten sich dann immer
mehr verschlechtert, bis im Jahre 1925 sieben Arbeiter von den
Eingeborenen eingeladen wurden, ihre Dörfer zu besuchen, in denen
sie verschwanden. Von diesem Zeitpunkt an gingen sich die Nambikwara
und die Leute der Linie aus dem Weg. Im Jahre 1933 ließ sich
eine protestantische Mission in der Nähe des Postens von Juruena
nieder; anscheinend verschlechterten sich die Beziehungen sehr
schnell, da die Eingeborenen mit den - wie es heißt unzulänglichen
- Geschenken unzufrieden waren, mit denen sich die Missionare
für ihre Hilfe beim Bau der Missionsgebäude und beim Anlegen
der Gärten erkenntlich zeigen wollten. Einige Monate später Stellte
sich ein fiebriger Indianer bei der Mission ein und erhielt in
aller Öffentlichkeit zwei Aspirin-Tabletten, die er schluckte;
woraufhin er ein Bad im Fluß nahm, einen Schlaganfall erlitt
und starb. Da die Nambikwara erfahrene Giftmischer sind, zogen
sie den Schluß, daß man ihren Gefährten umgebracht hatte: sie
griffen die Station an und erschlugen die sechs Mitglieder der
Mission, darunter ein zweijähriges Kind. Eine Hilfsexpedition
aus Cuiabä fand als einzige Überlebende eine Frau. - (
str2
)
Nomaden (3) Zwei Tage von Chinguetti entfernt mußten wir einen düsteren, grauen Cañon durchqueren, ohne etwas Grünes weit und breit. Auf dem Talboden lagen mehrere tote Kamele, deren vertrocknete Häute rat... tat... tat gegen die Rippen klatschten.
Es war fast dunkel, als wir den gegenüberliegenden Felsen bestiegen. Ein Sandsturm zog auf. Die Kamele waren unruhig. Einer der Führer zeigte dann auf ein paar Zelte: drei aus Ziegenfell und eins aus weißem Baumwollstoff, ungefähr eine halbe Meile entfernt zwischen den Dünen.
Wir näherten uns langsam. Die Führer schnitten Gesichter - sie versuchten herauszufinden, ob die Zelte einem befreundeten Stamm gehörten. Dann lächelte einer von ihnen, sagte: »Lalakhial!« und ließ seine Kamele in Trab fallen.
Ein großer junger Mann schlug die Zeltklappe zurück und winkte uns heran. Wir stiegen ab. Seine Gewänder waren blau, und er trug gelbe Pantoffeln.
Eine alte Frau brachte uns Datteln und Ziegenmilch, und der Scheich befahl, ein Zicklein zu töten.
»Nichts hat sich seit den Tagen Abrahams und Saras geändert«, sagte ich mir.
Der Scheich, Sidi Ahmed el Beshir Hammadi, sprach fließend Französisch. Nach dem Abendessen, als er den Pfefferminztee eingoß, fragte ich ihn unschuldig, warum das Leben im Zelt trotz all seiner Härten unwiderstehlich sei.
»Bah!« sagte er und zuckte die Achseln.
»Ich täte nichts lieber als in einem Haus in der Stadt
leben. Hier in der Wüste kann man nicht sauber bleiben. Man kann
sich nicht duschen! Es sind die Frauen,
die uns veranlassen, in der Wüste zu leben. Sie sagen, die Wüste
bringe Gesundheit und Glück, ihnen und
den Kindern.« - (
chatw
)
Nomaden (4) Im Frühling
A. D. 576 hörten die römischen Garnisonen an der Donaugrenze,
daß Nomaden auf dem Vormarsch seien. Von den Steppen her, die
sich nach Osten hin erstreckten, kam die Nachricht, das gotische
Königreich Ermanarichs auf der Krim sei an die Hunnen gefallen,
ein unbekanntes Volk berittener Bogenschützen von bestialischem
Äußeren, das in der Nähe des Eismeeres zu Hause sei. »Niemand
bestellt bei ihnen das Feld«, schrieb der zeitgenössische Historiker
Ammianus Marcellinus, »oder rührt je einen Pflugsterz
an. Denn alle schweifen ohne festen Wohnsitz, ohne Heim oder
feststehendes Gesetz oder Brauch, immer Flüchtigen gleich, mit
ihren Wagen umher. Niemand kann bei
ihnen die Frage beantworten, wo er herstammt, da er an einem
Ort erzeugt, fern davon geboren und weit davon entfernt aufgezogen
wurde.« Gotische Flüchtlinge baten die römische Regierung um
Asyl innerhalb der Grenzen des kaiserlichen Reiches. Und da sie
sich unter den Schutz des Kaisers begaben, durften sie zu Tausenden
die Donau überqueren — »wie der Aschenregen beim Ausbruch des
Ätna«. Doch ihre Gastgeber vernachlässigten die grundlegenden
Pflichten der Gastfreundschaft, und binnen zweier Jahre hatten
sich die Goten erhoben und den Kaiser Valens selbst in der Schlacht
von Adrianopel getötet. - Bruce Chatwin, Was mache
ich hier. Frankfurt am Main 1993 (Fischer - Tb. 10362, zuerst
1989)
Nomaden (5) Zivilisierte
Menschen schrieben den Nomaden Tiereigenschaften zu. Ammianus
Marcellinus sprach von der bestialischen List der Hunnen
— »man könnte sie für zweibeinige Tiere halten oder für Baumstümpfe,
die zu grobschlächtigen Bildern gehauen wurden«. Jordanes
schrieb in seiner Geschichte der Goten: »Sie hatten eine
Art Geschwulst, keinen Kopf, winzige Löcher
anstelle von Augen ... obwohl sie in der Gestalt von Menschen
leben, ist ihnen die Grausamkeit von Tieren zu eigen.« Der Sekretär
des Han-Kaisers sagte über die Hsiung-nu: »In ihrer Brust schlägt
das Herz eines Tieres... seit ältester Zeit sind sie nie als
ein Teil der Menschheit betrachtet worden.« Im Jahre eins vor
Christus begab sich ihr Herrscher zu einem Staatsbesuch in die
chinesische Hauptstadt. Seine Gastgeber brachten ihn in den zoologischen
Gärten unter. - Bruce Chatwin, Der Traum des Ruhelosen.
Frankfurt am Main 1998 (Fischer-Tb. 13729, zuerst 1996)
Nomaden (6) Die Nomaden waren ein dunkles, unheimliches Volk, das in jedem siebenten Jahre herabkommt aus den Bergen von Mloon, herab durch den Paßübergang, der nur den Nomaden bekannt ist und herüberführt aus märchenhaftem Land. Und all die Bewohner von Nen standen vor ihren Häusern und staunten. Denn die Männer und Weiber jenes Nomadenvolks füllten die Straßen und Gassen und taten ein jeder die seltsamsten Dinge. Tanzten erstaunliche Tänze, die sie dem Wüstenwind abge-sehn hatten, kreisten in rasendem Wirbel, welchem das Auge nimmer zu folgen vermochte. Oder spielten klagende Weisen auf herrlichen Instrumenten, schreckliche Weisen, die sie den Seelen der in der Wüste Verschmachteten abgelauscht hatten. Denn die Nomaden kamen von dort. Doch eines der Instrumente war geformt in der Art, wie sie zu Nen oder am Yannfluß bekannt ist. Und noch die Hörner, aus denen man manche gefertigt, waren von Tieren, die man am Flusse noch niemals gesehn, und hatten stachlige Enden. Und die Fremden sangen in niemandes Sprache, und ihr Gesang schien verwandt dem Geheimnis der Nacht und der unerklärbaren Furcht, die an Orten der Finsternis haust.
Die Hunde von Nen mißtrauten den Fremden zutiefst. Und die Nomaden erzählten einander Geschichten der Angst: denn obschon die Bewohner von Nen ihre Sprache nicht kannten, sahen sie doch das Entsetzen im Antlitz des Hörers und, da die Erzählung sich fortspann, das Weiße in dessen Augen, wie sich's hervorkehrt bei kleinen, vom Habicht geschlagenen Tieren. Dann hielt der Erzähler inne und lachte, und der andre hüb an zu erzählen, und die Eippen des ersten erbebten vor Furcht. Und wenn eine giftige Schlange sich zeigte, so ward vom Nomadenvolk sie als Bruder begrüßt und grüßte, so schien es. zurück, ehe sie weiterkroch und im Dschungel verschwand. Und es begab sich, daß die tödlichste aller tropischen Schlangen, die riesige Lythra, aus dem Dschungel hervorkam und die Straße entlangkroch, und es war die Hauptstraße der Stadt. Doch keiner vom Volk der Nomaden ging ihr aus dem Weg. und allesamt schlugen sie rasselnd die Trommeln, als galt's, einen Fürsten zu ehren. Und die riesige Schlange kroch zwischen ihnen hindurch und krümmte keinem ein Haar.
Noch die Kinder jener Nomaden taten befremdliche Dinge: begegnete eins einem
Kind aus der Stadt, so starrten einander sie an aus großen und ernsten Augen
und sprachen kein Wort. Dann zog das Kind der Nomaden aus seinem Turban einen
noch zappelnden Fisch oder eine lebendige Schlange. - Lord Dunsany, Das Land des
Yann. Stuttgart 1983 (Bibliothek von Babel, Hg. Jorge Luis Borges)
Nomaden (7) Auf den Wanderungen tragen die
Frauen der Nambikware behutsam die schwere Kiepe, welche die Vorräte und
Reichtümer der ganzen Familie sowie ein Bündel Pfeile enthält, während der Gatte
mit einem Bogen und einem oder zwei Pfeilen, dem Holzspeer oder dem Grabstock
an der Spitze des Zuges marschiert und nach einem fliehenden Tier oder nach
einem Früchte tragenden Baum Ausschau hält. Und so sieht man diese Frauen, das
Tragband um die Stirn, den Rücken gebeugt, unter der schmalen Kiepe in Form
einer umgestürzten Glocke, kilometerlange Märsche zurücklegen, immer im gleichen
typischen Schritt: mit zusammengepreßten Schenkeln und Knien, nach außen gedrehten
Knöcheln und nach innen gekehrten Füßen stützen sie sich auf die äußere Kante
des Fußes und schaukeln mit den Hüften - mutig, energisch und fröhlich. -
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