Monstrum, redendes  Du kannst nicht überhören, daß die Frage langsam ihren Tonfall ändert - freilich ohne daß deshalb die Silben sich voneinander lösten oder auch nur ein einziges Wort verständlich würde, aber was sage ich da, nicht einmal eine Silbe wird man aufschreiben können; doch jetzt ist die Frage etwas geworden, das zwischen Flehen und Drohen liegt. Doch wenn man bereits dem Flehen, erkennbar an seinen fallenden Tönen, und der Drohung, die du jetzt an ihren schmutzigen und rauhen Tönen erkennst, eine gewisse ideologische Zuständigkeit zumißt, dann wäre auch denkbar, daß man dem Erscheinen wenn auch nicht der Syntax, so doch wenigstens einer elementaren Morphologie beiwohnt. Aber da nichts von alledem geschieht, wäre es nicht unmöglich zu phantasieren, daß dasjenige, was zuerst deliriert und dann gefragt hat und jetzt abwechselnd fleht und droht, eher etwas Verkrüppeltes ist als etwas Krankes - etwas, das nach Monstrum oder Mißgeburt riecht, etwas, das auf keine Weise heilbar ist, und dem man nicht einmal helfen kann geschweige denn es interpretieren; und obwohl diese Stimme so ist, daß sie die gesamte Klassifikation der Angst bestätigen könnte, würde man nicht einmal von einem Schmerz reden können, sondern nur von einer Mißbildung der Sprache, so als wäre die Sprache etwas Monströses und selbst - nicht etwa der mutmaßliche Sprecher - der Schmerz und der Irrtum. Aber an wen oder was kann sich diese verbale Rhetorik denn wenden, wenn sie keinen Empfänger hat und auch einem solchen, selbst wenn sie ihn hätte, nicht offenbaren könnte, weshalb sie fragt, fleht und droht? Und auch wenn es jemandem gelänge, irgendeinen Sinn herauszuhören, so könnte sie doch in keiner Weise eine Antwort aufnehmen. Aber wärest dann nicht gerade du der gegebene Empfänger - als solcher unbekannt und dennoch unverzichtbar? Nicht, daß dir zustünde, eine Antwort zu geben, aber es steht dir zu, dieses gemischte Lamento des Monstrums aufzunehmen und zu sagen, daß es sich um eben dieses handelt - um die eigene Sprache des Monstrums, das du nicht tröstest, nicht erklärst, nicht interpretierst, sondern lediglich erkennst; und durch dieses Erkennen gibst du der monströsen Rede einen sicheren Stellenwert, wie etwa einen übrigens gänzlich unsinnigen Sinn. Doch bist du zu solchem fähig? Ich bezweifle es. Ist dieses dein Akzeptieren nicht eher ein Dich-Fügen in die Regeln der fragenden Monstrosität, oder sogar ein Dich-selbst-als-Monstrum-Erkennen und damit als Teilnehmer an derselben Eigenschaft jener Klage?  - Giorgio Manganelli, Geräusche oder Stimmen. Berlin 1989
 

Monstrum Reden

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