Monstrum, kindliches   Abenddämmerung: im Eßzimmer wurde es langsam dunkel, ich stieß mein kleines Schreibpult hinüber zum Fenster, die Angst trat abermals auf, die Fügsamkeit meiner unfehlbar erhabenen, verkannten und rehabilitierten Helden ließ auf ihre Substanzlosigkeit schließen; dann aber trat das da auf: ein unsichtbares, aber schwindelerregendes Wesen faszinierte mich; um es sehen zu können, mußte man es beschreiben. Rasch machte ich Schluß mit dem gerade fälligen Abenteuer, versetzte meine Gestalten in eine ganz andere Gegend der Erde, im allgemeinen in eine Region unter dem Meer oder der Erde, und beeilte mich, sie dort neuen Gefahren auszusetzen. Als Tiefseeforscher oder Amateurgeologen suchten sie nach der Spur des Seins, um sie plötzlich zu finden. Was damals aus meiner Feder kam - eine Tintenschnecke mit Feueraugen, ein Krustentier, das zwanzig Tonnen wog, eine Riesenspinne, die noch dazu sprechen konnte -, das war ich selbst, ein kindliches Monstrum, das war meine Lebensunlust, meine Todesfurcht, meine Fadheit und meine Perversität. Ich erkannte mich nicht wieder: kaum war sie in der Welt, richtete sich die ungeheuerliche Kreatur gegen mich und meine mutigen Forscher auf, ich bangte um das Leben der Gefährten, mein Herz tobte, ich vergaß ganz, daß meine Hand die Wörter niederschrieb, ich glaubte sie zu lesen. Sehr oft blieben die Dinge in der Schwebe: ich lieferte meine Leute zwar nicht dem Ungeheuer aus, zog sie aber auch nicht aus der Klemme; eigentlich genügte es, daß ich sie miteinander in Berührung gebracht hatte.   - Jean-Paul Sartre, Die Wörter. Reinbek bei Hamburg 1968
 

Monstrum Kind

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