Silbe   Beginnen wir bei der kleinsten Partikel überhaupt, bei der Silbe. Sie ist Dreh- und Angelpunkt des Versbaus, ist das, was Zeilen und größere Formen eines Gedichts beherrscht und zusammenhält. Ich habe die Vermutung, daß der Vers hier und in England dieses Geheimnis von den Spät-Elisabethanern an Ezra Pound weitergegeben hat und es in der Süße von Metrum und Reim, in einem Honigtopf verloren hat. (Die Silbe ist eine Möglichkeit, den ursprünglichen Erfolg des Blankverses, und seinen Verfall mit Milton, zu apostrophieren.) ...

Als mögliche Korrektur an der heutigentags geschriebenen Prosa und Lyrik würde es nichts schaden, wenn sowohl Reim wie Metrum und beim Wort als Quantum auch Sinn und Klang weniger im Vordergrund stünden als die Silbe und wenn es der Silbe, diesem schönen Geschöpf, in stärkerem Maße erlaubt wäre, die Harmonie anzuführen. Denen, die den Versuch wagen wollen, dies zur Mahnung: sich auf diesen Punkt der Elemente und Bausteine der Sprache zurückzuziehen heißt, die Sprache dort einzusetzen, wo sie am wenigsten nachlässig - und am wenigsten logisch ist. Man muß so konstant und so gewissenhaft auf die Silben hören, man muß so absolute Ansprüche stellen, daß ein sicheres Gehör nur um den höchsten Preis - 40 Stunden pro Tag - erkauft werden kann...

Doch die Silbe ist nur das erste Kind des Inzests des Verses (immer bringt dieses ägyptische Ding Zwillinge zur Welt!). Das andere Kind ist die ZEILE. Und gemeinsam ergeben die Silbe und die Zeile ein Gedicht, also jenes Gebilde - wie wollen wir's nennen - die Herrin des Ganzen, die »singuläre Intelligenz«. Und die Zeile stammt (ich schwör's) vom Atem, vom Atmen dessen der schreibt, im Augenblick wo er schreibt, und folglich ist sie; hier kommt die tägliche Arbeit, die ARBEIT, ins Spie!, denn nur er, der, der schreibt, kann in jedem Augenblick der Zeile ihr Metrum und ihr Ende beibringen -wo ihr Almen zu seiner Bestimmung kommen soll.

Für meine Begriffe liegt der Fehler bei den meisten Werken, seit man traditionellen Zeilen und Strophen und solchen Großformen wie, sagen wir, Chaucers Troilus oder Shakespeares Lear, den Rücken gekehrt hat, in folgendem: die zeitgenössischen Arbeiter beginnen zu schlampen GENAU DA, wo DIE ZEILE GEBOREN WIRD.

Ich will es unverhohlen sagen. Die beiden Hälften sind:

der KOPF über das OHR zur SILBE

das HERZ über den ATEM zur ZEILE

... Hier bin ich dogmatisch: der Kopf zeigt sich in der Silbe. Dort, in den Silben von Prosa und Vers, spielt sich der Tanz des Intellekts ab. Seht euch die besten Köpfe, die ihr kennt, im Hinblick darauf an: wo zeigt sich der Kopf, wenn nicht genau hier, in den raschen Gießbächen der Silben? erkennt ihr nicht, ob jemand Grips hat, daran, was dieser Grips genau hier zustande bringt? Es stimmt, was der Meister angeblich aus Konfusion aufgelesen hat: alle Gedanken, deren die Menschen fähig sind, lassen sich auf die Rückseite einer Briefmarke schreiben. Also, ist es nicht das SPIEL eines Geistes, dem wir hinterher sind, ist es nicht das, was anzeigt, ob sich von Geist überhaupt reden läßt?   - Charles Olson, nach (wcwa)

Wörter

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

Verwandte Begriffe
Synonyme