elbsterkenntnis
 

Mutter Dione: »Was Scham ? Mein ist doch, was da geschieht!«
Selbsterkenntnis! Lauscht dem Gebot eures Leibs und dann wählet
Wirksame Arten! Es ziemt jeder nicht jede Manier.
Ist dein Gesicht dein Ruhm, dann lege dich flugs auf den Rücken:
Wenn dir dein Rücken gefallt, laß dich von hinten besehn.
Schultern Milanions, ruhten auf euch nicht einst Atalantes
Schenkel? Stramm wenn sie sind, fasse dein Jüngling sie so!
Reite den Mann, bist du klein. Doch klüglich vermied es zu reiten,
Himmellang wie sie war, Hektors thebanisches Weib.
Knieend lieg auf dc'in Pfuhl, den Nacken leicht rückwärts gebogen,
Wenn die Länge des Leibs deine Beonderheit ist.
Jünglinghaft sind deine Schenkel, nicht minder untadlig die Brüste;
Nun, so stehe der Mann, schräge lieg du auf dem Bett.
Schäm dich auch nicht das Haar wie phylleische Mütter zu lösen,
Frei laß es wallen, den Hals beug' dabei aber zurück.
Du auch, der den Leib mit Runzeln Lucina gezeichnet,
Reite, doch parthisch reit! Er sehe nicht deine Front.
Formen der Lust gibt's tausend: am einfachsten und am bequemsten
Liegt das Weib gegen rechts, halb auf den Rücken gelehnt.

 - Publius Ovidius Naso, Ars Amatoria. Frankfurt am Main  (it 164, zuerst 1 v.u.Z)

Selbsterkenntnis (2) GUILLAUME DE CABESTAN  Hattet Ihr bei Eurer Krankheit irgendwelche angenehmen Phasen von Zurechnungsfähigkeit?

ALBERT FRIEDRICH VON BRANDENBURG  Ja.

GUILLAUME DE CABESTAN  Um so schlimmer; ich dagegen war noch unglücklicher: ich kam wieder völlig zu Verstand.

ALBERT FRIEDRICH VON BRANDENBURG  Ich hätte nie geglaubt, daß das ein Unglück sei.

GUILLAUME DE CABESTAN   Wenn man verrückt ist, muß man eben von Kopf bis Fuß verrückt sein und die Narrheit auch nicht plötzlich wieder an den Nagel hängen. Die wechselnden Schübe von Vernunft und Tollheit und die völlige Wiederkehr der Vernunft finden sich lediglich bei jenen kleinen Narren, die es nur zufällig sind und deren Zahl durchaus nicht groß ist. Schaut Euch dagegen diejenigen an, die die Natur jederzeit und in ihrem alltäglichen Lauf hervorbringt und von denen die Welt geradezu wimmelt; sie sind immer gleich närrisch und kommen nie zur Vernunft.

ALBERT FRIEDRICH VON BRANDENBURG  Was mich betrifft, so hätte ich gedacht, es sei immer noch das beste, so wenig wie möglich verrückt zu sein.

GUILLAUME DE CABESTAN  Ach! Ihr wißt also gar nicht, wozu die Narrheit gut ist? Sie dient dazu, einen daran zu hindern, sich selbst zu erkennen, denn der eigene Anblick ist gar zu trostlos.   - Fontenelle, Totengespräche. Frankfurt am Main 1991 (zuerst 1683)

Selbsterkenntnis (3)   Die erste Dame, die sprach, trug eine sehr schicke gestreifte Bluse und Weste und hatte kurzgeschorenes Haar wie ein Mann. Ich fand später heraus, daß sie Claude La-Checherelle hieß und eine französische Marquise war. Dies beeindruckte mich sehr, denn ich war in meinem Leben nur selten mit Aristokraten zusammengekommen. »Sollen wir Selbsterkenntnis versuchen, während wir ›Schweinchen auf der Leiter‹ spielen?« fragte sie.

»Wir erkennen uns selbst zu allen Stunden und bei allen Beschäftigungen oder Vergnügungen«, antwortete der Doktor.  - (hoer)

Selbsterkenntnis (4)

Selbsterkenntnis (5) Auf der Ausbuchtung eines Nußbaumstammes befand sich eine muschelförmige Höhlung, die Wunde alter Axthiebe, und dort hatte Cosimo einen seiner Unterschlüpfe. Das Fell eines Wildschweins war darin ausgebreitet, und darüber hingen eine Korbflasche, ein paar Werkzeuge, eine Trinkschale.

Viola warf sich auf das Wildschweinfell. »Hast du schon andere Frauen hierhergebracht?«

Er zögerte mit der Antwort. Und Viola: »Wenn du nicht andere mitgebracht hast, so bist du kein echter Mann!«

»Ja... ein paar...«

Er erhielt eine Ohrfeige. »So also hast du auf mich gewartet?«

Cosimo strich sich mit der Hand über die rote Backe und wußte nicht, was er sagen sollte; sie aber schien schon wieder gut gelaunt zu sein. »Und wie waren sie? Sag mir: Wie waren sie?«

»Nicht so wie du, Viola, nicht wie du...«

»Was weißt du denn, wie ich bin, sag, was weißt du denn?«

Sie war ganz sanft geworden, und Cosimo kam durch diese plötzlichen Schwankungen aus dem Staunen nicht heraus. Er näherte sich ihr. Viola war Gold und Honig.

»Sag...«

»Sag...«

Sie erkannten sich. Er erkannte sie und sich selbst, denn in Wahrheit hatte er sich noch nie gekannt. Und sie erkannte ihn und sich selbst, denn obgleich sie sich schon immer gekannt hatte, war es ihr doch noch nie vergönnt gewesen, sich auf solche Weise zu erkennen.  - Italo Calvino, Der Baron auf den Bäumen. München 1984 (zuerst 1957)

Selbsterkenntnis (6)  Du kannst eben nicht nur nicht erkennen, daß das Akzeptieren deine Kraft übersteigt, sondern auch nicht, daß du die Frage, wenn du sie akzeptieren könntest, auch zu entziffern wüßtest, denn sie hätte in jedem Fall den Sinn, den du ihr gäbest -keinen anderen, in keinem Fall - und dieser Sinn wäre ein Akzeptieren durch dich, aber auch ein Dich-Erkennen in jener Klage als nicht weniger klagend als die Klage selbst - wohl bemerkt: ich sagte nicht wer oder was sich beklagt. Doch die wechselnde Mischung aus Flehen, Klagen und Drohen scheint dieser Stimme eine beunruhigende Dichte zu verleihen, so als begänne ein Monstrum gerade, sich selbst als solches zu erkennen und sich über dieses Monstrum-Sein zu befragen und um Aufklärung zu flehen über seine ausgetüftelte Mißgestalt, und drohte, vielleicht zu töten oder sich selbst zu töten, wenn es irgendeine Kenntnis vom Empfangen oder Bringen des Todes besäße. Aber wenn du die Aufforderung ablehntest, dich - auch nur zum Schein, auch nur als Schmierenschauspieler - der Stille als Alternative anzubieten und folglich so tätest, oder nicht so tätest - und das wäre in keiner Weise verschieden - als erteiltest du eine Antwort - nicht etwa eine sinnvolle, denn die wäre schon als solche unverständlich, sondern eine fragende, flehende und drohende - wenn du dich mit höflicher Anmut und überlegter Feigheit entferntest - gäbe es dann einen anderen Ausweg als die polyglotte Anmut des Wahnsinns? Deshalb hör weiterhin zu, auch wenn man behaupten kann, daß von diesem Augenblick an dein Zuhören keine wenn auch noch so abstrakte Bedingung mehr für die, sagen wir, historische Existenz der Stimmen darstellt, die diesen Ort bewohnen. Es ist natürlich klar, daß die Stimme des Wahnsinns keinen richtigen Gesprächspartner hat, ja daß ihre Rede - wenn man es überhaupt so bezeichnen kann - gerade dem Fehlen eines Gegenübers entspringt. Du hörst jetzt nicht mehr zu, sondern registrierst nur die Unordnung, die in dieser Rede herrscht; aber daß es eine Rede sei, laßt sich in Wirklichkeit allein dem Wechseln der affektiv musikalischen Modi der Stimme entnehmen. Du wirst bemerken, wie die Frage sich allmählich zu scharfen und wütenden Dissonanzen emporreckt, denn der Wahnsinn liegt nicht so sehr im Fragen selbst als darin, die Frage an einen verschwiegenen Gesprächspartner zu richten, der jene Art der Verschwiegenheit übt, die ein Vorrecht des Nichts zu sein scheint; aber in Wahheit - wenn mir gestattet ist, mich in einer lästerlichen aber löblichen Glosse zu verbreiten - kann die Verschwiegenheit, auch wenn sie absolut ist, ein Beweis für das Nichts gar nicht sein, denn die Verschwiegenheit des Nichts hat eine ihr eigene sanfte Beharrlichkeit, die man unmöglich als irritierend betrachten kann, und das ist für den Wahnsinn verständlich; und es ist gerade diese leichte aber offenkundige Dyskrasie zwischen der Verschwiegenheit des Nichts und der Verschwiegenheit dessen, was das Nichts sein könnte aber keineswegs sein muß, die die unerforsch-liche Unordnung des Wahnsinns auslöst. - Giorgio Manganelli, Geräusche oder Stimmen. Berlin 1989
 
 

Selbsterforschung Erkenntnis

 

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