leichnis
Zu allen Zeiten haben sich dünkende Weise (oder Philosophen),
ohne die Anlage zum Guten in der menschlichen Natur einiger Aufmerksamkeit
zu würdigen, sich in widrigen, zum Teil ekelhaften, Gleichnissen erschöpft,
um unsre Erdenwelt, den Aufenthalt für Mensehen,
recht verächtlich vorzustellen, 1) Als ein Wirtshaus
(Karavanserai), wie jener Derwisch sie ansieht: wo jeder auf seiner Lebensreise
Einkehrende gefaßt sein muß, von einem folgenden bald verdrängt zu werden.
2) Als ein Zuchthaus; welcher Meinung die brahmanischen, tibetanischen
und andre Weisen des Orients (auch sogar Plato) zugetan sind: ein Ort der
Züchtigung und Reinigung gefallner, aus dem Himmel verstoßner, Geister,
itzt menschlicher oder Tier-Seelen. 3) Als ein Tollhaus: wo nicht
allein jeder für sich seine eignen Absichten vernichtet, sondern einer
dem andern alles erdenkliche Herzeleid zufügt, und obenein die Geschicklichkeit
und Macht, das tun zu können, für die größte Ehre hält. Endlich 4) Als
ein Kloak, wo aller Unrat aus andern Welten hingebannt worden. Der
letztere Einfall ist auf gewisse Art originell, und einem persischen Witzling
zu verdanken, der das Paradies, den Aufenthalt des ersten Menschenpaars,
in den Himmel versetzte, in welchem Garten Bäume genug, mit herrlichen
Früchten reichlich versehen, anzutreffen waren, deren Überschuß, nach ihrem
Genuß, sich durch unmerkliche Ausdünstung verlor; einen einzigen Baum mitten
im Garten ausgenommen, der zwar eine reizende aber solche Frucht trug,
die sich nicht ausschwitzen ließ. Da unsre ersten Eltern sich nun gelüsten
ließen, ungeachtet des Verbots, dennoch davon zu kosten: so war, damit
sie den Himmel nicht beschmutzten, kein andrer Rat, als daß einer der Engel
ihnen die Erde in weiter Ferne zeigte, mit den Worten: »Das ist der Abtritt
für das ganze Universum«, sie sodann dahinführte,
um das Benötigte zu verrichten, und darauf mit Hinterlassung derselben
zum Himmel zurückflog. Davon sei nun das menschliche
Geschlecht auf Erden entsprungen. -
Immanuel Kant, Das Ende aller Dinge
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