efallsucht
Madame de Chevreuse trug, als ich sie kennenlernte, nicht einmal mehr
die Spuren ihrer einstigen Schönheit. Niemals habe ich so wie bei ihr erlebt,
daß Lebhaftigkeit des Geistes die Fähigkeit zum Urteil ersetzte. So glückten
ihr oft so blendende Einfälle, daß sie blitzartig einschlugen; und übrigens
so klug, daß die größten Männer aller Jahrhunderte sie nicht verleugnet hätten.
Freilich, dazu kam es nur bei Gelegenheit. Wäre sie in ein Jahrhundert geraten,
in dem es keine politischen Abenteuer gab, sie wäre nicht einmal auf den Gedanken
gekommen, daß es welche geben könne. Hätte der Prior der Kartäuser ihr gefallen,
so wäre sie ehrlichen Herzens Einsiedlerin geworden. Monsieur de Lorraine,
der sie sehr gern mochte, riß sie hinein in die politischen Händel; der Herzog
von Buckingham und der Graf von Holland fesselten sie daran; Monsieur de Chateauneuf
unterhielt sie darin. Sie fand Geschmack daran, weil sie an allem Geschmack
fand, was dem, den sie liebte, gefiel. Sie liebte ziemlich wahllos, und nur
einfach, weil sie jemanden haben mußte, den sie liebte. Es war nicht einmal
schwer, ihr auf Verabredung einen Liebhaber anzudrehen; sobald sie sich aber
für ihn entschieden hatte, liebte sie einzig ihn, und treu. Wie sie uns, Madame
de Rhodos und mir, gestand, hatte es eine Laune des Schicksals, so nannte sie
es, gewollt, daß sie niemals am meisten den liebte, den sie am höchsten achtete;
ausgenommen, so setzte sie hinzu, den armen Buckingham. Ihre Hingabe an die
Leidenschaft, die man immerwährend nennen mochte, so oft sie auch den Gegenstand
wechselte, vermochte nichts daran zu ändern, daß eine Fliege fähig war, sie
abzulenken; mit solchem Ungestüm aber kehrte sie jeweils zurück, daß sogar dies
sie anziehend machte. Niemals hat ein Mensch weniger auf Gefahren geachtet als
sie, und nie hat eine Frau mehr Verachtung für Gewissensskrupel und Pflichten
gleicherweise bewiesen: sie kannte nur die, ihrem Geliebten zu gefallen.
- (
retz
)
Gefallsucht (2) MITTWOCH, 12. JULI 1944 Die
Katze Minette hat ein Junges bekommen - am letzten Samstag, früh. Sie liegt
mit ihm unten in meinem Wäscheschrank, den sie sieh selbst für ihre Niederkunft
ausgesucht hat. Das Kätzchen ist fünf Tage alt. Seine Augen sind noch geschlossen,
aber es rührt sich schon, uriniert an Ort und Stelle und schreit gelegentlich,
wenn seine Mutter es etwas drückt oder bedrängt. Sofort eilen die Hündin Barbette
und die Meerkatze hinzu, stellen sich vor den Schrank (die Tür ist immer offen)
und sehen sich das Bild - Katze mit Jungem - an, das sie wirklich zu interessieren
scheint.
Die Meerkatze sieht besonders eifrig hin, stützt ihre Hände auf den Rand
des Schrankunterteils schiebt langsam den Kopf vor und tut schön mit der Katze.
Offensichtlich möchte sie sich gerne zu ihr gesellen und mit ihr das Neugeborene
betreuen.
FREITAG, 14. JULI Minettes Kätzchen ist heute sieben Tage alt. Es «faucht»
bereits, wenn Barbette mit der Schnauze an ihre kommt.
Die Meerkatze macht immer dreistere Anstalten, den Schrank zu betreten. Minette
drängt sie zurück, und die Meerkatze bleibt vor dem Schrank stehen und ergeht
sich in Possierlichkeiten, um ihr zu gefallen und um sie zu beruhigen - Possierlichkeiten,
die aus leisen Geräuschen mit dem Mund und kleinen Grußbewegungen mit dem Kopf
bestehen. - (
leau
)