artleby

»Ich möchte lieber nicht
So fängt es an, unscheinbar,
eines Morgens. Es ist ja nur
die Krawatte, was würgt,
der Kontoauszug; was stört, ist,
daß das einzige Tier,
das sich immerzu wäscht,
sich immerzu waschen muß;

auch die unermüdliche Dummheit
da draußen ist es,
der unbesiegbare Krach,
was es zermürbt, das einzige Tier,
das sich feiern läßt,
nicht dafür, daß es geboren ist,
einmal im Jahr, nein, dafür,
daß es Tag für Tag wieder aufsteht,
rätselhaft, bis zur Rente.

Es bleibt nicht liegen.
Gegen die größeren Nackenschläge
sträubt es sich, meutert
gegen den Hunger. Der Hunger
möchte, möchte. Er
macht die Knochen leicht.

Nein, die Erleuchtung
kommt nach dem Essen.
Apathische Anfälle,
die wiederkehren mit siebzehn,
wie die Grippe, mit siebenunddreißig,
mit achtzig, immer von neuem:
»Ich möchte lieber nicht.«

Zu müde, um das Messer
in die Hand zu nehmen.
Ein paar Tage lang
mit dem Kopf zur Wand
oder drei Wochen, dann,
mit wankenden Knien
der erste Gang zum Waschbecken,
zum Kleiderschrank, zurück
zu den ewigen Werbespots
für Mord und Totschlag.

 - Hans Magnus Enzensberger, Kiosk. Neue Gedichte. Frankfurt am Main 1997 (zuerst 1995)

 

Melancholiker

 

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