ag, langer   Whiston stellte dem Hauptteil seines Werkes ein 94seitiges Vorwort voran; es trägt den Titel »Abhandlung über Wesen, Art und Umfang der mosaischen Schöpfungsgeschichte«. Er unternimmt darin den Versuch, vor dem Hintergrund von Newtons fast unendlichem Universum den wörtlichen Sinn der Heiligen Schrift zu bewahren (das erste oben genannte Postulat). Wie konnten die gewaltigen Ausmaße des Universums in sechs Tagen gefertigt werden, und wie konnte unsere Erde, ein winziges Körnchen in einem Winkel des Weltalls, zum Zentrum dieser Unendlichkeit werden? Whiston widmet sein ganzes Vorwort einem einzigen Argument: Moses hat lediglich die Entstehung der Erde beschrieben, nicht die des gesamten Universums; und außerdem wählte er seine Formulierungen nicht, um die abstrakten Eigenschaften der Naturgesetze zu beschreiben, sondern zur Darstellung des sichtbaren Ablaufs von Ereignissen, wie ein ungeschulter Betrachter sie auf der erstarrenden Oberfläche unseres Planeten hätte beobachten können. Von diesen Einschränkungen abgesehen, geschah alles genauso, wie es das 1. Buch Mose verkündet.

Die Erde war danach ursprünglich ein Komet, und das im  1 Buch Mose, Kapitel 1 beschriebene Chaos (»und die Erde war ohne Form und leer«) stellt die anfängliche, wirbelnde Atmosphäre dar. Zu Whistons Zeit wußte man noch nicht, wie groß Kometen in Wirklichkeit sind, und viele seiner Zeitgenossen nahmen genau wie er an, sie könnten die Ausmaße von Planeten haben und sich durchaus für eine Verwandlung in Planeten eignen. Whiston schreibt:

Es ist eine sehr vernünftige Annahme, daß ein Planet eigentlich ein Komet ist, der eine regelmäßige, dauerhafte Form angenommen hat und in die richtige Entfernung zur Sonne gelangt ist... Und ein Komet ist ein Chaos, d. h. ein Planet, der noch ungeformt ist oder sich im Urzustand befindet und sich in einer  sehr exzentrischen Umlaufbahn befindet.

Um einen solchen Kometen mit seiner sehr langgezogenen Bahn zu (einem Planeten zu machen, muß Gott die Umlaufbahnen fast kreisförmig gestalten. Dann klärt sich die ungeordnete Atmosphäre und Swird zur verfestigten Planetenoberfläche. Whistons Einstellung zu Wundern (bei denen Gott die von ihm selbst geschaffenen Naturgesetze vorübergehend außer Kraft setzt) bleibt zweideutig. In seinem zweiten Postulat gibt er natürlichen Erklärungen den Vorzug, aber nur wenn das möglich ist. Er erläuterte nie, ob die Veränderung der Umlaufbahn, die aus unserem Vorläuferkometen die heutige Erde werden ließ, ein echtes Wunder darstellte, das durch das unmittelbare, eigenhändige Wirken Gottes zustande kam, oder ob es sich um ein natürliches Ereignis handelte, also um das Ergebnis von Schwerkrafteinflüssen eines anderen Himmelskörpers, der sich nach den|Newtonschen  Gesetzen  durch das Weltall bewegte. Aber da Newtons Gesetze Gottes Gesetze sind, maß Whiston diesem Unterschied nur geringe Bedeutung bei, denn die Umwandlung des Kometen in den Planeten geschah entweder durch Gottes unmittelbares Handeln oder aufgrund von Gesetzen, die Gott im vollen Wissen um das spätere, erwünschte Ergebnis eingesetzt hatte.  Wie dem auch sei — nachdem die Umlaufbahn des Kometen zu der eines Planeten geworden war, liefen die im 1. Buch Mose beschriebenen Ereignisse, wie ein Beobachter auf der Erde sie sehen würde, auf natürliche Weise ab. Die Erschaffung des Lichts am ersten Schöpfungstag ist demnach das Aufklaren einer zuvor undurchsichtigen Atmosphäre (so daß die schon immer vorhandene Helligkeit wahrnehmbar wurde). Ganz ähnlich spiegelt auch die »Erschaffung« von Sonne und Mond eine weitere Aufhellung der Atmosphäre wider.

Der vierte Tag ist deshalb die Zeit, wo diese Himmelskörper, die schon zuvor existierten, aber so, daß sie einem Betrachter auf der Erde ganz abwesend erscheinen mußten, sichtbar wurden.

Inzwischen lagerten sich die Bestandteile der ursprünglichen Atmosphäre nach ihrer Dichte in einer Reihe konzentrischer Schichten ab — in der Mitte die Feststoffe, darüber das Wasser und obenauf ein fester Schaum —, und die Erde war geboren.

Für den Fall, daß der Eindruck entstand, als sei das alles ein wenig viel für den kurzen Zeitraum von sechs Tagen, fügte Whiston ein weiteres Argument an, das unseren Glauben stärken sollte. Danach drehte sich die Urerde nicht einmal am Tag um ihre Achse, sondern sie behielt auf ihrer Kreisbahn um die Sonne immer die gleiche Position bei. Das fast am Äquator gelegene Paradies erlebte demnach ein Jahr, das aus zwei Hälften bestand: die eine war Tag, die andere Nacht. Und da wir unter einem »Tag« den einmaligen Wechsel von Hell und Dunkel verstehen, dauerte jeder Tag des 1. Buches Mose ein ganzes Jahr — immer noch nicht eben viel für die Vorgänge, die in dieser Zeit ablaufen sollten, aber ein großer Schritt in die richtige Richtung.  - Stephen Jay Gould: Bravo, Brontosaurus. Die verschlungenen Wege der Naturgeschichte. Hamburg 1994

 

Tag

 

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