Rückwärts   »Nun, ich will dich gerne anstellen«, sagte die Königin. »Zwei Groschen die Woche und anderntags Marmelade

Darüber mußte Alice nun doch lachen, und sie sagte: »Ich will doch nicht, daß Ihr mich anstellt - und außerdem mag ich Marmelade nicht.«

«Es ist sehr gute Marmelade«, sagte die Königin.

»Nun, heute habe ich jedenfalls gar keine Lust darauf.«

»Heute bekämst du auch keine, selbst wenn du Lust hättest«, sagte die Königin, »denn die Regel heißt: gestern Marmelade und morgen Marmelade - aber niemals heute Marmelade.« »Aber manchmal muß es dann doch auch >heute Marmelade< sein«, wandte Alice ein. - »Das kann es gar nicht«, sagte die Königin, »weil es nämlich heißt: anderntags Marmelade; und heute ist ja dieser und kein anderer Tag, nicht wahr?«

»Das verstehe ich nicht«, sagte Alice. »Es ist schrecklich verwirrend.«

»Das kommt davon, wenn man rückwärts in der Zeit lebt«, sagte die Königin freundlich; »anfangs wird man davon leicht ein wenig schwindlig

»Rückwärts in der Zeit lebt!« wiederholte Alice mit großem Erstaunen.

»Davon habe ich noch nie etwas gehört!« »- aber einen Vorteil hat es doch, nämlich daß das Gedächtnis nach vorne und rückwärts reicht.«

»Also, meines reicht nur rückwärts«, bemerkte Alice. »Ich kann mich nie an etwas erinnern, bevor es geschieht.«

»Eine dürftige Art von Gedächtnis, wenn es nur nach rückwärts reicht«, stellte die Königin fest.

»Woran könnt Ihr Euch denn am besten erinnern ?« fragte Alice vorsichtig.

»Ach, an verschiedenes, was übernächste Woche geschah«, versetzte die Königin leichthin. »Also, da ist zum Beispiel«, fuhr sie fort und klebte sich dabei ein großes Stück Heftpflaster auf den Finger, »da ist der königliche Läufer. Er sitzt jetzt gerade seine Strafe ab im Kerker; und der Prozeß fängt erst Mittwoch in acht Tagen an; und das Verbrechen kommt natürlich erst ganz zum Schluß.«

»Angenommen, er begeht das Verbrechen gar nicht?« sagte Alice.

»Um so besser! Oder etwa nicht?« sagte die Königin und befestigte das Heftpflaster mit einem Band. Das war freilich nicht zu leugnen; Alice sah es ein. »Gewiß, um so besser«, sagte sie; »aber doch nicht um so besser, daß er bestraft wird!«

»Na, da irrst du aber gewaltig«, sagte die Königin; »bist du schon einmal bestraft worden?«

»Nur wenn ich etwas angestellt hatte«, sagte Alice. »Und du bist davon nur besser geworden, das ist sicher!« sagte die Königin triumphierend.   :

»Schon, aber wofür man mich bestrafte, das hatte ich doch auch getan«, sagte Alice; »darin liegt der Unterschied.«

»Aber wenn du es nicht getan hättest«, sagte die Königin, »das wäre noch viel besser gewesen; besser und besser und besser!«

Und mit jedem ‹besser› ging ihre Stimme ein Stück in die Höhe, bis zuletzt fast ein Gequieke daraus geworden war. Alice wollte gerade sagen: »Irgend etwas stimmt da nicht«, als die Königin so laut zu schreien anfing, daß sie mitten im Satz aufhören mußte. »Oh, oh, oh!« rief sie und schüttelte ihre Hand so heftig hin und her, als wollte sie haben, daß sie davonflöge.   - Lewis Carroll, Alice hinter den Spiegeln. Frankfurt am Main 1974 (it 97, zuerst 1872)

 

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