hilosophin 

 

Anonymer Kupferstich zu Thérèse philosophe (Londres 1782)

  - Nach: Carolin Fischer, Gärten der Lust. Eine Geschichte erregender Lektüren. München 2000 (dtv 30768, zuerst 1997)

Philosophin (2)  Mit der gleichen Art, mit der das Kind vollkommen natürlich Gewalttätigkeiten und Strafen hinnahm, nahm es auch die Freundlichkeit und die Gunstbezeugungen Tristrams hin: es empfand ihm gegenüber dafür keinerlei Dankbarkeit - so wie es übrigens auch keinen Groll über das Böse hegte, das er ihr zufügte. Während der sexuellen Zeremonien, die es mit jener Gründlichkeit ausführte, mit der Kinder Aufgaben erledigen oder ihre Pflichten erfüllen, mit Liebe zur Sache und einem gewissen Wunsch, es gut zu machen, wurde nicht deutlich, was ihm durch den Kopf ging. Es war nicht mehr so schön, wie es war, als es das erstemal vorn Balkon des "National Hotel" aus erschienen war, es war schwächer, finsterer, kleiner geworden: und das war alles, was von seinen Gefühlen, indirekt durchsickerte. Wenn es bestraft wurde, schrie und weinte es jedesmal, hörte aber sofort wieder auf. Wenn der Herr es in Augenblicken der Normalität, außerhalb des Zeremoniells, gut behandelte, verriet es keinerlei Gefühl. Nur wenn es aß, funkelte in seinen Augen eine gierige Glückseligkeit. Tristram bemerkte auch dies. Und so wurde auch die 'Verabreichung von Speisen an die Sklavin' Teil des Zeremoniells. Beim ersten Mal war das für Tristram von großem Genuß. Giana war nämlich absolut unschuldig und machte sich an jenem Tag mit der üblichen ausgeglichenen Fröhlichkeit daran, die guten Dinge zu essen, die man in den Häusern der Reichen ißt. Sobald Giana bereit war zu essen, tat Tristram, was er in abscheulicher Manier ausgeklügelt hatte: er entzog ihr die Speisen, mit strengem Gesichtsausdruck, wie Zeus "geheimnisvoll gerecht"", als zusätzliche Strafe zu dem, was sie sich morgens eingehandelt hatte. Sie hatte nämlich auch die Aufgabe, ihn gründlich zu waschen, überall, in der großen Badewanne der kolonialen 'Toilette': und an diesem Morgen eben hatte sie es an einer gewissen Emsigkeit beim Abreiben von Tristrams Penis und After mangeln lassen. Zum erstenmal konnte Tristrarn, als er ihr ihre hündische Mahlzeit entzog, in Gianas Gesicht eine verzweifelte Enttäuschung und einen geradezu herzzerreißenden Blick von unten nach oben beobachten. Von da an hing auch die Mahlzeit von dem unerforschlichen Willen des Herrn ab, und Giana fügte sich darein, wie in alles andere.

Diese Geschichte dauerte nur wenige Tage. Tristram, das werdet Ihr wohl verstanden haben, entbehrte jeglicher Größe. So hatte er für seine sadistische Erfahrung ein sehr kurzlebiges Experiment vorgesehen, entschlossen, es sein Leben lang in Erinnerung zu behalten, mit Ironie, das heißt ohne Sehnsucht, was den ersten Teil angeht, die Sklaverei, und ohne die geringste Gefühlsduselei, was den zweiten Teil angeht, die Befreiung.   - Pier Paolo Pasolini, Petrolio. Berlin 1994

 

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