ntzauberung Die
fünf Jahre im Internat sind eine Erzählung nicht wert. Es genügen die Wörter
Heimweh, Unterdrückung, Kälte, Gemeinschaftshaft. Das Priestertum, auf das wir
alle angeblich abzielten, winkte mir keinmal als eine Bestimmung, und auch kaum
ein andrer der Jugendlichen kam mir berufen vor; das Geheimnis, welches dieses
Sakrament noch in der Dorfkirche ausgestrahlt hatte, wurde hier von morgens
bis abends entzaubert. Keiner der zuständigen Geistlichen begegnete mir je als
ein Seelsorger; entweder saßen sie zurückgezogen in ihren warmen Privatgemächern,
und wenn sie einen zu sich kommen ließen, war es höchstens, um zu verwarnen,
zu drohen und auszuhorchen — oder sie gingen, immer in ihren schwarzen, bodenlangen
Soutanen-Uniformen, das Gebäude ab als Wärter und Aufseher, von denen es eben
solche und solche gab. Selbst am Altar, bei der täglichen Messe, verwandelten
sie sich nicht in die Priester, zu denen sie doch einmal geweiht worden waren,
sondern führten jede Einzelheit der Zeremonie aus in der Rolle des Ordnungshüters:
Standen sie abgekehrt, in Schweigen, mit zum Himmel erhobenen Armen, so schienen
sie zu lauschen, was hinter ihrem Rücken geschah, und wendeten sie sich dann
um, wie um alle zu segnen, so wollten sie nur mich ertappen. - Peter Handke, Die Wiederholung. Frankfurt am Main
1992 (zuerst 1986)
Entzauberung (2)
Entzauberung (3)
Entzauberung
(4) «Sie hatte sie sich rasiert - keine
Spur von einem Haar daran! Hast du jemals eine Frau gehabt, die ihre Pussi
ausrasiert? Es ist abstoßend, was? Und auch komisch. Irgendwie verrückt.
Es sieht nicht mehr wie eine Pussi aus: es ist wie eine tote Muschel
oder so was.» Er beschreibt mir, wie er mit erwachter Neugier aus dem Bett
stieg und seine Taschenlampe holte. «Ich ließ sie sie aufhalten und richtete
die Taschenlampe darauf. Du hättest mich sehen sollen .. . es war komisch.
Ich regte mich so darüber auf, daß ich sie ganz vergaß. Noch nie in meinem
Leben habe ich mir eine Möse so genau angesehen.
Man hätte glauben können, ich hätte noch nie vorher eine gesehen. Und je
mehr ich sie anschaute, desto weniger interessant wurde sie. Es zeigt einem
nur, daß gar nichts dahintersteckt, besonders wenn sie rasiert ist. Es
ist das Haar, was sie so geheimnisvoll macht. Darum läßt einen eine Statue
kalt. Nur einmal sah ich eine richtige Möse an einer Statue - sie war von
Rodin. Du mußt sie dir mal anschauen ... sie hat die Beine weit
gespreizt... ich glaube, sie hatte keinen Kopf. Nur eben eine Möse, hätte
man sagen mögen. Herrje, sah sie greulich aus! Die Sache ist die — sie
sehen alle gleich aus.» - (krebs)
Entzauberung (5) «Meine Schwiegertochter ist eine schöne Frau, nicht wahr?»
«Eine sehr schöne Frau.»
«Vielleicht ist sie auch nur sehr weiblich, eine von denen, die man in meiner Jugend Bettschatz nannte», sagte er mit Kennermiene, als spräche er nicht von der Frau seines jüngst verstorbenen Sohnes, und zeichnete mit den Händen den Umriß ihres liegenden Körpers nach, «Ich glaube, heute gebraucht man diesen Ausdruck nicht mehr, die Frau ist nicht mehr von Geheimnis umwittert, weder von dem des Alkovens noch von dem der Seele. Und wissen Sie, was ich manchmal denke? Daß die katholische Kirche heute ihren größten Triumph zu verzeichnen hat: Endlich haßt der Mann die Frau. Das hatte sie nicht einmal in den Jahrhunderten der tiefsten Finsternis und Strenge fertiggebracht. Heute aber ist es soweit. Und ein Theologe würde vielleicht sagen, das sei die List der Vorsehung. Der Mensch glaube, auch in erotischer Hinsicht den Weg der Freiheit zu gehen, statt dessen habe er sich in eine Sackgasse verirrt.»
«Ja, vielleicht. Obgleich mir scheint, daß der weibliche Körper in der sogenannten christlichen Welt nie zuvor so verherrlicht, so zur Schau gestellt worden ist. Selbst die Werbung überträgt der Frau die Aufgabe, anzulocken und zu verzaubern.»
«Sie haben ein Wort gebraucht, das den Kern der Sache trifft: zur Schau gestellt.
Der weibliche Körper wird zur Schau gestellt. So wie man es früher mit den Gehenkten
machte.» -
Leonardo Sciascia, Tote auf Bestellung. Zürich 1991
Entzauberung (6) Umbeleuchtung von Mädchen. Kleinl, der Trauriggemachte, kam frühzeitig drauf, wie die jungen Mädchen und Frauen, die wir in der Jugend einfältig und beseligt als zinnsoldatiges Unit, als Ideal oder als leuchtstoffröhrigen Reizträger betrachten, alle ihre Vaterkomplexe, Mutterkonflikte angeschnallt tragen; wenn sie sie für die Liebe ablegen, ists um all die Betten wie ein Park voll lederner Prothesen.
Die blendenden Mädchen unserer Kindheit: von Aufbrütern rechts und links beeinträchtigt; die blöde Trotzerei; der jahrelange aufreibend/verkrüppelnde Enrwicklungs-Auf-enthalt durch Kämpfe um Nebensachen.
Abklatschweise geht es uns so auch noch später, wenn der Spuk nichts als reizvoller Frauen einer Tischgesellschaft, eines Bahnabteils, eines Fortbildungskurses sich sehr rasch auflöst, in einzelne jede tragisch für sich allein erdkugelnde, tierisch ernste bis verdrossene oder traurige, schicksalbeladene, kindersekkierte oder abtreibungsinkriminierte, haushaltgefolterte, berufzermahlene, kohlensaure badanpilgernde und sich nur mehr auf den graustruppigcn Ruhestand freuende engelgleich geschlechtlose Menschen verwandelt. Dann will ich Kleinl nach der Südsee. Aber auch nicht der plutonschweren echten.
Und als ob der Verdauungstrakt aus durchsichtigem Plastik wäre und wir den
Speisenbrei in seinen verschiedenen Stadien als Füllmaterial der Geliebten,
als wesentlichen Bestandteil ihres umarmten Gewichts, von dem wir annehmen,
es seien 50 oder 80 kg Schönheit, Seele oder Liebe, sehen könnten, so entlarven
sich viele ihrer Kilogramm als Krämpfe, Vorurteile, Ärgerbatterien, Abgetötetes;
als Wildfleisch, Parkinson-Akku, morgen abgenommener Gangrän-Arm, Metastasenautomat.
So wie das Fleischschsch der uns Einsame tröstenden Backhühner aus ekelhaften
Käfern besteht, die ihr Leben unter dem hackenden Schnabel ausstrampeln mußten
und in unseren Mägen bis zum Jüngsten Tag weiter 64beinig ausstrampeln. - (met)
Entzauberung (7) Auf der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit scheinen in Wales oft Pfarrer weiße Magie praktiziert zu haben. So 1582 Dr. John Dee, der eine hexende Alte «Gwen Goch» (Rote Gwen) bannte, die angeblich in der Nordostecke des Clwyd-Tales eine Seuche ausgelöst hatte. Edmund Prys (1544~1623) und Ellis Wynne (1671-1734) sind weitere Pfarrer, die mit Bannzauber in Zusammenhang gebracht werden. T. Gwynn Jones schließlich zitiert einen Bericht über Zauberer in Cardiganshire aus dem 19. Jahrhundert, in dem es heißt: «In Fällen von Krankheit, schlechten Nerven oder Melancholie, oder Verlust von Geld oder anderen Wertgegenständen, wird der dyn hysbys (Zauberer) sofort zu Rate gezogen. Gegenwärtig praktizieren in Nord Cardiganshire zwei consurwyr ...»
In diesen Zeugnissen ist durch die Zeiten hin eine immer weiter fortschreitende
Abschwächung der Kräfte des Zauberers zu bemerken, bis aus ihm im 20. Jahrhundert
schließlich nur noch Ratgeber in schwierigen Lebenslagen geworden ist. -
Nachwort zu (wal)
Entzauberung (8)
We have the fairy We have the fairy tales by heart, We know our Mother Goose and Eden, If dead men walked they, too, would holler We have by heart the children's stories, Death and evü are twin spectres. We have the stories backwards, Tear by the roots these twin growths in your gut; |
Wir kennen alle Märchen Wir kennen alle Märchen Wort für Wort, Die Abzählreime kennen wir, und Eden, Wenn Tote wandeln könnten, ihnen grauste Wir machen mit Märchenplappern Halt, Der Tod, das Böse - Zwillingsgeister; Wir kennen die Kindermärchen rückwärts, Reiß dir die Zwillingsbeulen mit der Wurzel aus dem Wanst; |
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