hrlosigkeit   Die persönlichen und gegen die Ehre, das heißt gegen jenen gerechten Anteil der Achtung, den ein Bürger von den anderen zu fordern das Recht hat, gerichteten Angriffe sollen mit dem Verlust der bürgerlichen Ehre geahndet werden. Die Ehrlosigkeit ist ein Zeichen der öffentlichen Mißbilligung, die den Schuldigen von der öffentlichen Achtung, vom Vertrauen des Vaterlandes und sozusagen jener Brüderlichkeit ausschließt, die das Leben in der Gesellschaft den Menschen einflößt. Sie unterliegt nicht dem Gesetze. - Cesare Beccaria, Über Verbrechen und Strafen. Frankfurt am Main 1988 (zuerst 1764)

Ehrlosigkeit (2)  Wie Menschen sich beschimpfen und beleidigen, so entwerfen sie ihr Leben, nur andersherum. Als sich Männer noch bei der Ehre packen liessen und Frauen bei der Tugend, gab es viele Witwen, die nicht besonders lustig waren. Seither hat sich die Semantik der Verächtlichkeit geändert; vertrocknet sind ihre früheren Quellen - Ehre, Moral und Gott. Der Autofahrer, dem die Vorfahrt genommen wurde, brüllt nicht «ehrloser Lump», «Dirne» oder «Gottloser», sondern «Vollidiot» oder tippt sich mit dem Finger an die Stirn, um auf denjenigen anatomischen Ort hinzuweisen, wo er das grösste Defizit seines Gegners zu finden glaubt.

Wenn es stimmt, dass sich kulturtypische Invektiven immer auf die Stelle der grössten anzunehmenden Verletzlichkeit des anderen richten, dann offenbart sich die Kultur der Moderne in ihrem gegenwärtigen Stadium als Gemeinschaft der beflissenen Streber. Alle sehen sich als ewige Prüflinge, die sich durch nichts mehr beleidigen lassen als durch die Behauptung, sie seien durchgefallen: Dummkopf, Blödmann, Schwachkopf.  - Gerhard Schulze, NZZ vom 9. Juni 2007

Ehrlosigkeit (3)  Der Rechtlose, Ehrlose, Echtlose wird aus der Rechtsgenossenschaft ausgestoßen. Er hat weder auf Wergeld noch auf Buße und Leugnungseid einen Anspruch; jeder kann ihn also ungestraft totschlagen. Wer Hals und Hand verwirkt, die Vollstreckung der Strafe aber durch Geld abgekauft hatte, für den bestand die Buße in zwei Besen und einer Schere. Ihn totzuschlagen, verursachte also wenig Kosten. Gewerbsmäßige Kämpfer (campiones), die nicht des guten Kampfes wegen, sondern für Geld kämpften, also Geschicklichkeitsspieler waren, hatten als Buße, wie im Sachsenspiegel nachzulesen ist, den Glanz eines sonnenbeschienenen Schildes, das heißt, sie konnten ohne nachteilige Folgen erschlagen werden. Spielleute und Gaukler erhielten als Buße den Schatten eines Mannes, entbehrten also gleichfalls alles Schutzes. Schlimm war, daß durch den Einfluß der Kirche, welche Ehe und Zölibat zu heiligen suchte, auch die vorher unbekannte Unehrlidhkeit und Rechtlosigkeit der außer der Ehe geborenen Kinder durchgesetzt wurde. Denn Grundsatz der Rechtlosigkeit war immer, daß nicht die Geburt gut und schlecht machte, sondern das, was recht und unrecht war. Die Unehrlichkeit und Rechtlosigkeit der unehelichen Kinder wurde zwar bekämpft, sie blieben aber noch durch den Reichsbeschluß von 1731 dem Makel der Anrüchigkeit unterworfen. Sie wurden also den unehrlichen Leuten beigesellt, zu denen nach altem deutschem Recht auch die Müller, Schäfer und Weber gehörten, nach der Reichspolizeiordnung von 1571 aber nur noch die Abdecker (Kafiller). Der Scharfrichterberuf war nach den Reichsgesetzen niemals unehrlich und anrüchig, doch heftete das Volk einen Makel an ihn. Die im Dienste der Scharfrichter stehenden Henker aber, welche die entehrenden Todesstrafen (Hängen, Vierteilen, Verbrennen, Rädern) vollstreckten, galten als unehrlich und anrüchig. Hier, bei den unehrlichen Leuten, haben wir eine vererbliche Unehrlichkeit. Unehrlich und anrüchig wurde auch der, der mit ihnen umging oder sie besuchte. Daher lebten die Scharfrichterfamilien abgesondert und heirateten untereinander.  - Friedrich Georg Jünger, Die Spiele. München 1959

 

Ehre Gesellschaft

 

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Infamie
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