Arztpraxis  Während der Professor den Kittel an den Nagel hängte, hörte er auf dem Hof ein Gelächter. Er spähte hinaus und traute seinen Augen nicht. Über den Hof zum Quergebäude lief eine Dame, die nichts als ein Hemd anhatte. Der Professor wußte sogar, wie sie hieß - Maria Alexandrowna. Das Gelächter kam von einem Bengel.

»Was soll denn das?« sagte Kusmin verächtlich.

In diesem Moment hörte er nebenan im Zimmer seiner Tochter das Grammophon den Foxtrott »Halleluja« spielen, und gleich darauf ertönte hinter ihm ein Schilpen. Er drehte sich um und erblickte auf seinem Schreibtisch einen hüpfenden Sperling von beträchtlicher Größe.

Hm, ganz ruhig! dachte der Professor. Der ist reingeflogen, als ich vom Fenster zurücktrat. Alles in Ordnung! redete er sich selber zu und spürte dabei, daß keineswegs alles in Ordnung war, hauptsächlich wegen dieses Vogels. Als er genauer hinsah, merkte er, daß das durchaus kein gewöhnlicher Sperling war. Es war ein garstiger Spatz, der Theater spielte, auf dem linken Fuß lahmte, ihn nachschleppte und das in Synkopen, kurzum, er tanzte zu den Klängen des Grammophons einen Foxtrott wie eine Betrunkener an der Theke, benahm sich so flegelhaft wie möglich und äugte den Professor unverfroren an. Kusmin griff nach dem Telefon, er wollte seinen Studienfreund Bure anrufen, um ihn zu fragen, was derlei Spätzchen im Alter von sechzig Jahren zu bedeuten hätten, wenn sie mit Schwindelgefühl im Kopf einhergingen.

Währenddessen setzte sich das Spätzchen auf das Tintenfaß, ein Geschenk, entleerte sich darein (im Ernst!) und erhob sich in die Luft, wo es ein Weilchen schwebte, dann flog es mit Schwung gegen das Glas der Gruppenaufnahme, die sämtliche Universitätsabsolventen des Jahrganges 1894 zeigte, zerschlug es mit stählernem Schnabel und flog dann zum Fenster hinaus. Der Professor wählte eine andere Nummer, rief statt seines Freundes Bure die Blutegelstelle an, sagte, hier spreche Professor Kusmin und bitte, ihm sofort Blutegel ins Haus zu schicken.

Dann legte er den Hörer auf, wandte sich wieder dem Schreibtisch zu und stieß ein Geheul aus.

Am Schreibtisch saß eine Frau mit Schwesternhäubchen, vor sich eine Tasche mit der Aufschrift »Blutegel«..

Der Professor heulte noch lauter, als er den Mund der Schwester sah: es war ein schiefer Männermund, breit bis zu den Ohren, und aus ihm ragte ein Eckzahn. Die Augen der Schwester blickten totenstarr.

»Den Zaster nehm ich mit«, knarrte die Schwester im Männerbaß, »der brauch hier nich rumliegen.« Mit Vogelklauen scharrte sie die Etiketten zusammen und löste sich in Luft auf.    - (meist)

 

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