Wehen  Ich stehe in einer Steppe aus stillem Grau, das in jedem seiner verwaschenen Striche mit dem stillen grauen Himmel verfließt. Nicht Gras noch Wolke ist erkennbar, nichts regt sich, doch alles ist in Bewegung: Ein ungeheurer Arm wiegt Luft und Land, und gleichzeitig erzittert das tiefste Innen der schlafenden Materie. — Alles kann noch draus werden, denke ich verzückt und schwebe schwerelos in die Ferne und fiihle nur das Wiegen und Zittern wie einen durch alle Poren der Seele hinziehenden Wind. - Wehen, wehen, denke ich und spüre, daß ich mich auflösen kann, da sehe ich irgendwo im Grauen ein Stäubchen in hellerem Glanz erdunkeln; es ist nur ein Faserchen eines Halmes und das leiseste Mehr eines Schattendämmerns, doch es weckt etwas, von dem ich ahne, daß es Schmerz und Erstarrung ist. Erde und Himmel sind plötzlich geschieden; der Wind hält ein; schwarzer Riß einer Grenze, doch da ist das Stäubchen schon wieder ins zitternde Grau zurückgesunken, und wieder hebt mich die Leere und gleitet; und: Wehen, wehen, denke ich noch, und vergehe verzückt im grauen All.   - Franz Fühmann, Dreizehn Träume. Berlin 1991. In: Der Mund des Propheten. Späte Erzählungen (AtV 75, zuerst 1983)
 

Wind

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