V    Was dem Lustmolch gespreizte Schenkel bedeuten, dem Ornithologen die Flugwege der Zugvögel, dem Werkzeugmacher seine Drehbank, das war für den jüngeren Stencil der Buchstabe V. In jeder Woche wohl einmal träumte er, alles sei nur ein Traum gewesen; nun, da er aufgewacht wäre, entdecke er, seine Suche nach V. sei letzten Endes nichts anderes gewesen als ein szientifisches Abenteuer, ein geistiges Wagnis, in der Tradition etwa von »The Golden Bough« oder »The White Goddess«.

Früh genug jedoch war er zum zweitenmal - und diesmal wirklich - aufgewacht, um sich der ärgerlichen Tatsache wieder bewußt zu werden, daß es in Wirklichkeit niemals aufgehört hatte, dasselbe stupide und pedantische Suchen zu sein; V., ungreifbares Monstrum der Fleischeslust, dem er nachjagte, wie man Hirsch, Reh oder Hase hetzt, wie eine aus der Mode gekommene, bizarre oder verbotene Form geschlechtlichen Vergnügens. - (v)

V (2)   Stencil erzählte Profane von einem Bordell in Nizza, mit Spiegeln an der Decke, wo er einmal geglaubt hatte, seine V. gefunden zu haben. Erzählte von einem geheimnisvollen Erlebnis, das er hatte, als er einmal im Celda-Museum auf Mallorca vor einem Gipsabdruck von Chopins Hand stand.

»Da war kein Unterschied«, lachte er und brachte damit zwei umherstrolchende Penner zum Lachen: »Das war es. Chopin hatte eine Gipshand!« Profane zuckte die Schultern. Die Penner trabten hinter ihnen her.

»Sie stahl ein Flugzeug: eine alte Spad, den Typ, mit dem der junge Godolphin abgeschmiert ist. Gott, das muß ein Flug gewesen sein: von Le Havre über die Biscaya irgendwohin nach Spanien. Der Offizier vom Dienst erinnert sich nur noch an einen wilden -wie nannte er ihn doch -, einen wilden ›Husaren‹, der in einem roten Feldmantel angerast kam und ihn mit einem Glasauge ansah, das die Form einer Uhr hatte: >Als hätte mich das böse Auge der Zeit selbst angesehen^

Das Talent, sich zu verkleiden, ist eines ihrer Merkmale. Auf Mallorca verbrachte sie mindestens ein Jahr, verkleidet als alter Fischer, der abends getrocknetes Seegras in setner Pfeife rauchte und den Kindern Piratengeschichten aus dem Roten Meer erzählte.«

»Rimbaud«, meinte einer von den Pennern.

»Hatte sie als Kind Rimbaud kennengelernt? Kam sie als Drei- oder Vierjährige in den Norden, in die Gegend, wo die Bäume, grau und scharlachrot, mit gekreuzigten Engländern geschmückt waren? War sie das Maskottchen der Mahdisten? Lebte sie in Kairo und nahm Sir Alastair Wren zum Liebhaber, als sie älter wurde?

Wer weiß. Stencil ist in dieser Geschichte abhängig von den unvollkommenen Zeugnissen der Menschen. Irgendwie sind Regierungsverlautbarungen, Gerichtsprotokolle und Massenbewegungen zu verräterisch.«

»Stencil«, ließ Profane sich hören, »du bist betrunken.«   - (v)

 

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