imbaud   UGO FERRANDI AN OTTONE SCHANZER

Novara, 7. August 1923

Lieber Freund und Kollege,

Glauben Sie nicht, ich hätte vergessen, die Nachforschungen über Rimbaud in Afrika anzustellen, um die Sie mich gebeten haben; aber diese Arbeit ist schwieriger als ich dachte.

Ich kann die Notizen, die ich in Harar zu der Zeit machte, als ich mit dem großen französischen Dichter zusammen war, nicht wiederfinden; sie sind verschwunden wie eine Unmenge anderer Zeugnisse meiner Streifzüge auf dem schwarzen Kontinent.

Ich lernte Rimbaud in Aden Ende 1885 kennen (wenn das Gedächtnis mir keinen Streich spielt), als er an die französische Dankali-Küste kam, um eine Karawane nach Schoa anzuwerben. Die Karawane bestand aus einer Ladung Gewehre, die einem gewissen Labatut gehörten, einem Franzosen, der krank in sein Vaterland zurückkehrte.

Um die Mitte des Jahres 1886 traf ich Rimbaud in Tadschura, der noch nicht hatte ins Landesinnere gelangen können. In Tadschura befand sich ebenfalls die Karawane von Paul Soleillet, dem berühmten Erforscher der algerischen Sahara, der, krank geworden, nach Aden zurückging, wo er starb.

Die Karawane Soleillet und die Franzoj‘s — der ich angehörte — lagerten in einem Palmenhain in der Nähe des Dankali-Dorfes; Rimbaud freilich hatte seine Wohnung in einer Hütte des Dorfes.

Seine Besuche in den verschiedenen Lagern waren sehr häufig, und da er auch herzliche Beziehungen zu seinen Landsleuten hatte, fühlte er sich in unserer Gesellschaft wohl.

Franzoj, ein bekannter Journalist und Polemiker, war ein eifriger Kenner der französischen und lateinischen Literatur (er las ständig Horaz in seinem schwierigsten Text), und mit Rimbaud hatte er lange literarische Diskussionen — von den Romantikern bis zu den Dekadenten. Außerdem fiel ich über Rimbaud her mit Fragen sowohl über die Geographie als über den Islam. Man muß wissen, daß Rimbaud ein paar Jahre früher (während der arabischen Besetzung Harars) im Ogaden gelebt hatte. Ein Kenner erster Ordnung des Arabischen, hielt er den eingeborenen Honoratioren in seiner Hütte regelrechte Vorträge über den Koran.

Groß, hager, mit Haaren, die an den Schläfen schon weiß zu werden begannen, europäisch gekleidet, aber nur so im großen ganzen, das heißt mit einer eher weiten Hose, einem Trikot, einer sehr bequemen Jacke von khakigrauer Farbe, trug er als Kopfbedeckung nur ein ebenfalls graues kleines Käppchen, er trotzte der tropischen Sonne des Dankalilandes wie ein Eingeborener. Obwohl er für die Tagemärsche ein Maultier hatte, bestieg er es nie; mit seinem zweischüssigen Gewehr begleitete er die Karawane immer zu Fuß.

Eine diskrete Einzelheit: wenn er urinieren mußte, hockte er sich wie die Eingeborenen hin, überhaupt sahen diese ihn etwas als Mohammedaner an, und er riet mir, es ebenso zu machen, da er sah, welche Kenntnis der Sitten der Eingeborenen ich besaß, eine Kenntnis, die ich einige Jahre vorher im äußersten Fayum erworben hatte. - Aus: Arthur Rimbaud, Briefe Dokumente. Hg. Curd Ochwadt. Reinbek b. Hamburg 1964 (Rowohlts Klassiker 155/156)

Rimbaud (2)  Er versucht die Überwindung des Europäertums durch eine Betonung von Rasse und Instinkt inmitten der (zerfallenden) Moralsphäre.

Christus ist ihm der »éternel voleur des energies«; Moral, »une faiblesse du cervelle«.

»Die minderwertige Rasse hat alles bedeckt - Volkstum, wie man sagt, Vernunft, Nation, Wissenschaft« (eines seiner stärksten Argumente).

Er selbst rühmt sich bald gallischer, bald skandinavischer Vorfahren, die in ihm aufleben. Dann wieder bezeichnet er auch sich selbst als »unwertiger Rasse«.

Das Dekadenzproblem (hier wie bei vielen andern). Die Schärfe der Triebe gegen ihre Lauigkeit und Tartüfferie.

»Ich war niemals aus diesem Volke, war niemals Christ. Ich bin von der Rasse, die beim Todesurteil sang; ich verstehe die Gesetze nicht, habe keine Moral, bin ein roher Mensch.«

Oder: »Ich bin ein Tier, ein Neger, aber vielleicht bin ich gerettet; ihr seid falsche Neger, Wahnsinnige, Wilde, Geizige.«

Manchmal spricht er in einer Art zärtlichen Dialektes vom Tode, der Reue bringt; von Unglücklichen, die wirklich existieren; von harten Arbeiten, von Abschieden, die das Herz zerreißen.

»Dann erklärte ich mir meine magischen Sophismen mit der Halluzination der Worte...«  - Hugo Ball, Die Flucht aus der Zeit. Zürich 1992
 

Poète maudit
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