nausstehlichkeit
Arsénie Lepreux ist kein gewöhnlicher Mensch. Sie hat
es immer abgelehnt, zu heiraten, da sie nie einen Mann gefunden hat, der ihrer
würdig gewesen wäre. Schon als Kind verachtete sie ihre Lehrer in der Schule,
lachte ihnen mit einer Frechheit, die über ihr Alter hinausging ins Gesicht,
wies ihnen nach, daß sie unrecht hatten. Während die kleinen Mädchen in bigotter
Ergebenheit den Priestern zuhörten, die sie auf ihre Erste Heilige Kommunion
vorbereiteten, lachte sie nur darüber und behauptete: «Gott ist überhaupt nicht
so.» Zwar mußte man doch zugeben, daß sie ihren Katechismus auswendig wußte,
aber man konnte sie nicht ausstehen. - (
jac
)
Unausstehlichkeit
(2) Mit mir war es kein Vergnügen. Auf den
Feldwegen, wo einem manchmal der Fluß entgegentrat, plötzliches graubraunes
Brackwasser, in das die Wege eintauchten wie Hundezungen, auf den Feldwegen
war ich unausstehlich. Ganz hart und schartig und unausstehlich. Es war ja eine
Insel, in welche Richtung man auch ging, überall stand man auf einmal vor diesem
schlammigen Strom, der sich grundlos, aber unabweislich vor uns wälzte. Dazwischen
wanderten wir voll böser Ahnungen hin und her. Ich sehe es: manchmal war Judith
auf böse Art liebevoll, wie Sammler von Scheidungsgründen,
die jede Unverzeihlichkeit begrüßen. Oh, ich sehe es, ich war unverzeihlich
widerwärtig, ich sehe es auskriechen, ich beobachte den Vorgang mit kaltem Grauen.
Böse verhornt, noch unter der steilen Sonne vom Flußdunst verquollen, kroch
ich auf allen vieren vor Gift und hätte am Wasser nicht haltmachen sollen. Leiden
aufsaugen - Leiden verspritzen. Dazu hatte ich mir in meinen Drüsen ein höllisches
Süppchen zusammengebraut, Versagen, Selbstbedauern, zerfahrene Willkür, Fehlzündungen,
Hemmungen, Ohnmacht und Eitelkeit. Ach Gott! Vielleicht wäre Rizinus angebracht
gewesen, oder Brechweinstein. Oder Saufen. Ich hätte
vielleicht durch Saufen den Spiegel senken können. Wenn sie es gut mit mir meinte,
hätte sie mich also zum Saufen bringen müssen, Judith hätte es in der Hand gehabt,
durch ihr Drängen die Roßkur in Gang zu bringen: »Komm, wir wollen uns besaufen!«
Aber davon war sie weit entfernt. Natürlich. Natürlich nicht. Liebevoll: behüte!
- Walter E. Richartz, Aspirin.
In: W.E.R., Das Leben als Umweg. Zürich 1988
Unausstehlichkeit
(3) Es war eigentlich nicht sehr zum Aushalten mit
ihm an diesem Morgen, und er merkte an, nur um verdrießliche Dinge vorzubringen,
es gebe schmerzhafte Erinnerungen, die man so wenig vergesse wie die erste Liebe;
so könn' er z. B., erzählt' er, bis diesen Morgen nicht ohne neues Schmerzgefühl
daran denken, daß er einmal in Holland, auf einer Treckschuyte fahrend, einem
Hering den Kopf abgebissen, um den Rumpf aufzuspeisen, aber im Vergreifen den
köstlichen Hering selber am Schwanze ins Wasser geschleudert und nichts behalten
habe als den Kopf: »Nach diesem Hering sehn' ich mich ewig«, sagte er. — »Mir
ganz denkbar,« sagte Nieß, »denn es ist traurig, wenn man nichts behält als
den — Kopf.« - (
katz
)
Unausstehlichkeit (4) Er fühlte, wie der Mond seine nun bleichenden Strahlen auf ihn herniedersandte, als ob er gar nicht da wäre. Wenn es zwei Dinge gab, die Watt nicht mochte, so war eins davon der Mond und das andere die Sonne. Also setzte er seinen Hut fest auf den Kopf, griff vor nach seinen Taschen und rollte kopfüber in den Graben, und lag dort, auf seinem Gesicht, halb in dem wilden langen Gras, den Fingerhüten, dem Ysop, den hübschen Nesseln, dem hoch aufragenden Schierling und anderen Grabengewächsen und Blumen begraben. Und wie er so dalag, drangen sehr deutlich von weit her, von außen, ja, wirklich es schien von außen, die mittelmäßigen Stimmen eines gemischten Chors zu ihm.
Aber schon hatte Watt den Graben satt, den er hatte verlassen wollen, als
die Stimmen ihn zurückhielten. Und einer der Gründe dafür, daß er den Graben
satt hatte, war vielleicht die Tatsache, daß er die Erde, deren Umrisse und
eigentümlichen Geruch die Vegetation zunächst verborgen hatte, nun fühlte und
witterte, die nackte, harte, dunkle, stinkende Erde. Und wenn Watt zweierlei
nicht ausstehen konnte, dann war eins die Erde und das
andere der Himmel. -
(wat)
Unausstehlichkeit (5) Pawel Iwanytsch erschöpft es, zu sprechen, und. er bekommt keine Luft, trotz alledem fährt er fort:
»Ja, ich sage allen immer nur Wahrheit ins Gesicht... Ich fürchte niemanden
und nichts. In dieser Hinsicht besteht zwischen euch und mir ein gewaltiger
Unterschied. Ihr seid dunkle und blinde Leute, verschüchterte Leute, ihr seht
nichts, und was ihr seht, das kapiert ihr nicht... Man sagt euch, daß der Wind
sich von der Kette gerissen habe, daß ihr Viehzeug und Petschenegen seid, und
ihr glaubt es auch; man haut euch in den Nacken, da küßt ihr die Hand; irgendein
Tier im Waschbärpelz plündert euch aus und schmeißt euch dann fünfzehn Kopeken
als Trinkgeld hin, ihr aber: ›Gnädiger Herr, bitte das Händchen.‹ Parias seid
ihr, erbärmliche Leute... Ich aber bin ein ander Ding. Ich lebe bewußt, ich
sehe alles, so wie ein Adler oder ein Falke es sieht, wenn er über die Erde
hinfliegt, und ich verstehe alles. Ich bin der verkörperte Protest. Wenn ich
eine Gewalttat sehe, so protestiere ich; sehe ich Heuchelei und Scheinlicüigkcit,
so protestiere ich; sehe ich ein triumphierendes Schwein, protestiere ich. Und
ich bin unbesieglich, keine spanische Inquisition kann mich zwingen zu verstummen.
Jawohl. Wenn man mir die Zunge abschneiden wollte, ich würde mit Mimik protestieren,
wenn man mich in einen Keller einmauern wollte, ich würde von dort so laut schreien,
daß man es eine Werst weit hören konnte, oder ich würde mich durch Hunger töten,
auf daß auf ihrem schwarzen Gewissen noch ein Zentner mehr zu liegen käme, und
wenn man mich töten würde, ich würde als Gespenst wiederkommen. Alle Bekannten
sagen mir: ›Pawel Iwanytsch, Sie sind der unausstehlichste Mensch!‹ Ich bin
stolz auf solch einen Ruf. Drei Jahre lang habe ich im Fernen Osten gedient,
und hundert Jahre lang wird man an mich denken: ich habe mich mit allen verstritten.
Die Freunde schreiben aus Rußland: ›Komm nicht.‹ Ich aber habe es mir in den
Kopf gesetzt und reise jenen zum Tort.. Jawohl... Das ist Leben, das kann ich
verstehen. Ja, das kann man Leben nennen.« - Anton Tschechow, Gussew.
Nach (tsch)
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