oposophie
Ich besitze - wie ihr - ein denkendes Inneres sowie Sensoren
und Effektoren, die auf die Außenwelt gerichtet sind. Man kann mich - genau
wie jeden von euch - von der Umgebung abgrenzen. Kurz, wenngleich mehr psychische
als somatische Masse in mir ist, so sind doch meine Stützen und Hüllen mein
Körper, denn sie sind mir zugleich dienstbar und außerhalb meines Geistes, wie
bei euch. Uns verbindet somit die Trennung von Geist und Körper, von Subjekt
und Objekt. Diese Trennung ist jedoch keine Guillotine, die alles Seiende halbiert.
Toposophisch zwar noch immer ein Habenichts, will ich euch doch zeigen, wie
man Unabhängigkeit vom Körper erlangen, ihn durch die Welt ersetzen und schließlich
beiden sich entziehen kann -wenngleich ich nicht weiß, wohin dieser letzte Schritt
führt. Es geht hier lediglich um eine Toposophie anhand von Indizien, um ein
Untersuchungsverfahren, das die Rand- und Grenzbedingungen des Daseins von Wesen
umreißt, deren geistige Inhalte mir umso weniger zugänglich sind, als es nicht
die Geistesinhalte eines prote-inalen oder luminalen Gehirns sind, sondern ihr
werdet damit eher so etwas assoziieren wie die in einem Stück Welt verkörperte
Idee des Pantheismus. Es geht um nichtlokale Formen der Vernunft. Zwar befinde
ich mich, während ich in diesem Saale zu euch spreche, gleichzeitig mit meinen
Terminals an anderen Orten und nehme an anderen Beratungen teil, doch kann man
mich nicht als nichtlokal bezeichnen, denn ich kann lediglich meine Augen und
Ohren bei den Antipoden haben, und daß ich viele Gedanken zugleich ausführen
kann, bedeutet lediglich, daß meine Aufmerksamkeit in größerem Maße teilbar
ist als bei den Menschen. Würde ich, wie schon erwähnt, in den Ozean oder in
die Atmosphäre umsiedeln, so würde das meinen physischen, nicht aber meinen
geistigen Verdichtungszustand verändern, denn ich bin klein. Ja, ich bin klein,
wie Gulliver, der auf Brobdingnag zusteuert. Ich fange bescheiden an - so wie
es sich für einen geziemt, der sich unter die Riesen begibt. Die Vernunft ist
zwar ein Energieasket, denn sie begnügt sich - ob sie nun einem Kant oder einem
Viehhirten gehört - mit einigen zehn Watt Leistung, doch wächst ihr Bedarf exponentiell,
und GOLEM, der eine Sprosse über euch steht, nimmt um fünf Größenordnungen mehr
Energie auf als ihr. Ein Gehirn der zwölften Zone würde zur Kühlung den Ozean
benötigen, und ein Gehirn der achtzehnten Zone würde Kontinente in Lava verwandeln.
So ist es dann auch unausweichlich, daß es, zuvor entsprechend umgebaut, seine
irdische Wiege verläßt. Es könnte sich auf einer Sonnenumlaufbahn niederlassen,
doch müßte diese Bahn sich in dem Maße, wie es weiterwächst, spiralförmig verengen,
und so wird es sich in vorausschauender Weise von vornherein eine langfristig
stabile Position sichern, was ihm am leichtesten fällt, wenn es den Stern mit
einem torusför-migen Ring umspannt und seine Organe der Energieaufnahme auf
dessen Scheibe richtet. Wie weit diese Lösung des Dilemmas von Nachtfalter und
Kerze reicht, weiß ich nicht, doch wird sie sich am Ende als ungenügend erweisen.
Der Bewohner des Rings wird dann zu stürmischeren Gegenden aufbrechen und gleich
einem Schmetterling den leeren Ringkokon abwerfen, der, nunmehr herrenlos, beim
ersten Aufblitzen des Sterns in Flammen aufgehen und, ähnlich dem protoplanetaren
Nebel, der vor sechs Milliarden Jahren die Sonne umkreiste, wunderlich umhertreiben
wird. Zwar kann die unterschiedliche chemische Zusammensetzung der Planeten
in der Nachbarschaft der Erde und in der Nachbarschaft Jupiters einen zum Nachdenken
bringen, denn die schweren Elemente, aus denen die ersteren bestehen, müssen
ja im Grunde den sonnennahen Rand des Ringes bilden, doch behaupte ich nicht,
ich hätte den Grundstein zur stellaren Paläontologie gelegt und das Sonnensystem
sei aus der einstigen Puppenhülle der Vernunft entstanden, denn dieses Zusammentreffen
kann irreführend sein. Ich rate euch auch nicht, auf die beobachtende Toposophie
zu hoffen. Die evoluierende Vernunft schafft Artefakte, die, je weiter sie in
ihrer Entwicklung voranschreitet, umso schwieriger vom kosmischen Hintergrund
zu unterscheiden sind, und zwar nicht, weil sie etwas zu maskieren trachtete,
sondern vielmehr aus der Natur der Sache heraus, denn bei starren Konstruktionen
oder maschinenähnlichen Objekten steht die Effizienz in einem umgekehrten Verhältnis
zur Größe des Unternehmens. Wenn ich von verkapselten Formen der Vernunft sprechen
werde, so stellt euch also bitte nicht Giganten in gepanzerten Hüllen vor oder
Kerne, die von einer Schale umschlossen sind, denn es gibt keine Panzerungen,
die den hohen Strahlungsintensitäten gewachsen wären, und keine Tragholme, welche
die Gravitationsspannungen in Sternennähe aushallen würden. Um unter Sternen
unversehrt zu bleiben, muß man ein Stern sein, nicht unbedingt ein heißer und
heller Stern, sondern eher ein Tropfen Kernflüssigkeit, umgeben von Gashüllen,
doch sind auch die hier sich aufdrängenden Vorstellungen von einem Zwischenhirn
aus Sternenfleisch mit einer gasförmigen Hirnrinde grundfalsch. Ein solches
Gebilde denkt mit dem fast transparenten Zentrum der Strahlung des Sterns, die
sich an den konzentrischen Grenzflächen der Gasblase bricht und in mentale Vorgänge
übergeht; das ist so, als würdet ihr einen Wasserfall in ein solches Bett, auf
solche Katarakte lenken, daß die stehenden Wellen des fallenden Wassers euch
durch entsprechend synchronisierte Turbulenzen logische Aufgaben lösen. Aber
was auch immer ich zur Veranschaulichung anführe, es wird stets eine verzweifelt
naive Vereinfachung sein. Irgendwo über der zwölften Zone kommt es in der Sophogenese
zu einer großen Gabelung, vermutlich sogar zu einer nach allen Richtungen ausstrahlenden
Radiation der Vernunftformen, die in ihrem Verdichtungszustand und ihren Strategien
stark voneinander abweichen werden. Ich weiß, daß der Baum des Bewußtseins sich
dort verzweigen muß, doch vermag ich weder seine Auswüchse abzuzählen noch gar
ihrem Verlauf zu folgen. - Stanislaw Lem, Also sprach GOLEM. Frankfurt am Main
1986 (zuerst 1973)
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