taatswesen Tief
unter dem Rathaus, eingehauen in Fels und am Schnittpunkt der dort aus allen
Teilen der Stadt sternförmig zusammenlaufenden Katakomben, durch die jetzt die
Abwässer strömen, durch die aber auch, stehend auf ihren Ziegenfellflößen, die
Ratsgreise sich in die Dunkelheit staken, weil sie es hassen, bei Lichte gesehen
zu werden, befindet sich, versehen mit Käfigstreben, so dick, daß keine Detonation
sie einreißen könnte, verschlossen mit Riegeln, so schwer, daß kein Hammerschlag
sie auf zuzwingen vermöchte, ein dunkles Gelaß. Hier wird an einer Kette, deren
Klirren sich mittags ins Flüstern der Ratsherren mischt, die zehn Meter höher
im butzenscheibengefilterten Sonnenlicht die Geschicke der Stadt diskutieren,
ein seltsames Wesen gehalten. Stumpffüßig ist es, sein Bauch hat Walzenformat,
sein Haupt ist das eines Nilpferds, dem das Krokodil die Reißzähne lieh; die
Augen haben keine Pupillen, die Ohren sind Krater: muschellos, trichterhaft
zielen sie ins Innre des Hirns, in dessen moosigen Gängen, vom Bersten stürzender
Throne bis zum Gewehrschuß, jeglicher Laut aufbewahrt wird, der jemals die Stadt
in Unruhe versetzte. Alt ist das Wesen, uralt; sein Antlitz ist rissig, zernarbt
seine Haut, und annehmen kann man, es hat auch dereinst die Straßen beschritten,
denn überall ist dem Asphalt seine Spur aufgeprägt, obwohl
heute niemand die Abdrücke mehr derart zu deuten versteht. Vielmehr, Schlaglöcher
heißt man sie jetzt und füllt sie mit Steinen; doch werden die Steine verrotten,
die Spur aber bleibt. -
Wolfdietrich Schnurre, nach: Deutsche Parabeln. Hg. Josef Billen. Stuttgart 2001 (Reclam
7761)
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