ibirien Der
alte Mann erzählt die Entstehungsgeschichte von Irkutsk. Er ist in die
Dokumente vertieft, die er noch in der Dunkelheit erkennt, er erklärt sie in
einer feierlichen Sprache, die an russische Märchen erinnert, versetzt mit archaischen
Deutsch-Brocken, als hätte er an den Expeditionen von Pallas oder Erman teilgenommen.
»... wo sich die Wege der Zobelfelle, unseres weichen Goldes, und die Wege der
Teeballen aus China kreuzten. Pochabow und seine Kosaken hatten gut gewählt!
Vor dem Tor des Baikal, mit seinen Pelztieren, Fischen, Zedern, seinen Seehunden,
Lachtaken — den einzigen, die im Süßwasser leben - seinen Weibervögeln!
Sie mußten Stürme und wilde Tiere überwinden, die in den Schluchten der Berge
lauerten, Tataren und Mongolen zurückschlagen! Viele Festungen sind dem Boden
gleichgemacht worden, Irkutsk widerstand. Kennen sie ›Michail Strogoff‹ von
Schil Vern? Das spielt bei uns in Irkutsk! Und wir haben noch schönere
Bücher!« Der Greis dämpft die Stimme: »Die Einheimischen waren der Kamlanje
kundig, schamanten, spionierten, aber der Ostrog
blieb, wurde zur Hauptstadt des Generalgouvernements Ostsibirien, eines Gebiets
größer als Europa! Unsere Kuptschiny, aufmüpfige Köpfchen, ließen ihre Wäsche
in London waschen, ein Kaufmann kaufte in Paris auf der Austeilung die größte
Spiegelscheibe der Welt, sie paßte in keinen Wagen, mußte getragen werden, den
ganzen Weg. Als sie nach vier Jahren angekommen war, paßte sie nicht in sein
Haus, zu den Teppichen, glaube ich. Er zerbrach sie in tausend Stücke und warf
sie in die Angara. Deshalb glitzert sie so, das Mütterchen.«
Er spricht weiter, Orten zählt die Epitheta: der muntere Fluß Irkut, die
unvergleichliche Angara, der tüchtige Ostrog Irkutsk an seiner Einmündung; die
braven Kosaken gegen die listigen Tataren, die aufmüpfigen Köpfchen rollen (nicht
die der Kaufleute). Der Baikal ist unerschöpflich: der Große, der Mächtige,
der Einmalige, der Heilige... >Das weiche Gold< für Zobelfell ist ein
Kenning. Ein Wort kommt im Russischen offensichtlich nicht vor: größenwahnsinnig.
Was sind Weibervögel? -
Libuše Moniková, Die Fassade. München 1990
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