acht, letzte   »Was würdest du tun, wenn du wüßtest, daß heute die letzte Nadht der Welt anbricht?«

»Was ich tun würde? Meinst du das im Ernst?«

»Ja, absolut.«

»Ich weiß nicht. Ich habe nie darüber nachgedacht.«

Er goß Kaffee ein. Im Hintergrund spielten die beiden Mädchen im Licht der grünen Sturmlaternen mit Bauklötzen auf dem Teppich des Wohnzimmers. Der angenehme, reine Duft des frisch aufgebrühten Kaffees lag in der Abendluft.

»Es wäre gut, wenn du dir jetzt einmal darüber Gedanken machtest«, sagte er.

»Das kannst du nicht ernst meinen!«

Er nickte.

»Ein Krieg?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nicht die Wasserstoff- oder die Atombombe?«

»Nein.«

»Oder ein Krieg mit biologischen Waffen?«

»Nichts dergleichen«, antwortete er, während er langsam seinen Kaffee umrührte. »Ich möchte es ganz einfach so formulieren: ein Buch wird geschlossen.«

»Ich glaube, das verstehe ich nicht.«

»Auch ich verstehe es nicht ganz; es ist mehr ein Gefühl. Manchmal schreckt es mich, ein andermal wieder gar nicht, und der Gedanke läßt mich völlig ruhig.« Er blickte zu den Mädchen hinein, deren blonde Haare im Rampenlicht schimmerten. »Ich habe dir bisher nichts gesagt. Zum erstenmal kam er vor vier Nächten.«

»Wer?«

»Der Traum. Ich träumte, daß alles zu Ende gehen würde, und eine Stimme bestätigte es; keine Stimme, an die ich mich erinnern kann, aber es war jedenfalls eine Stimme, und sie sagte, daß jegliches Leben hier auf der Erde enden würde. Am nächsten Tag dachte ich kaum noch daran, aber am Nachmittag sah ich im Büro, wie Stan Willis aus dem Fenster starrte, und ich sagte, ich gab' was drum, Stan, wenn ich wüßte, was du denkst, und er antwortete, er hätte letzte Nacht einen Traum gehabt, und noch bevor er mir seinen Traum erzählte, kannte ich ihn. Genauso gut hätte ich ihm seinen Traum erzählen können, aber er erzählte ihn mir, und ich hörte zu.«

»Und es war derselbe Traum?«

»Derselbe. Ich sagte es Stan, und er schien davon nicht einmal überrascht zu sein. Im Gegenteil, er atmete sichtlich auf. Danach begannen wir, das ganze Büro durchzukämmen. Das war nicht etwa geplant. Wir hatten uns nicht dazu verabredet, wir gingen einfach los, jeder für sich, und überall hatten die Leute die Blicke auf ihre Hände oder Schreibtische gesenkt oder sahen aus dem Fenster. Ich sprach mit einigen. Stan ebenfalls.«

»Und sie hatten alle geträumt?«

»Alle. Denselben Traum — ohne jeden Unterschied.«

»Und du glaubst daran?«

»Ja. Ich bin mir nie einer Sache sicherer gewesen.«

»Und wann wird sie enden? Die Welt, meine ich.«

»Für uns irgendwann in dieser Nacht, und während die Nacht weiter um die Welt geht, wird alles andere mitgehen. Im ganzen wird es vierundzwanzig Stunden dauern, bis alles zu Ende ist.«

Sie saßen eine Weile, ohne ihren Kaffee anzurühren. Dann hoben sie langsam die Tassen und tranken, sich dabei in die Augen sehend.

»Haben wir das verdient?« fragte sie.

»Darum dreht es sich ja gar nicht; die Dinge sind einfach nicht so gelaufen, wie sie hätten sollen. Übrigens stelle ich fest, daß du nicht einmal an dieser Sache zu zweifeln scheinst. Warum nicht?«

»Ich glaube, ich habe meine Gründe dafür«, erwiderte sie.

»Dieselben wie alle in meinem Büro?«

Sie nickte langsam. »Ich wollte eigentlich nichts sagen. Ich träumte es letzte Nacht. Und die Frauen in unserem Häuserblock redeten heute untereinander darüber. Sie haben es auch geträumt. Ich dachte, es sei nur ein zufälliges Zusammentreffen.« Sie nahm die Abendzeitung in die Hand.

»In der Zeitung steht nichts davon.«

»Warum auch, es weiß ja jeder.« - Ray Bradbury, Der illustrierte Mann. München 1972 (Heyne 3057)

 

Nacht Schluß

 

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