ensch, natürlicher Kommt da heute morgen nicht zu meinem Haus ein wahrhaft homerischer oder paphlagonischer Mann - er hat einen so passenden und poetischen Namen, daß ich ihn zu meinem Leidwesen hier nicht drucken lassen kann ~, ein Kanadier, Holzhacker und Pfostenmacher, der fünfzig Pfosten in einem Tag fertigstellen kann und dessen letzte Abendmahlzeit aus einem Murmeltier bestand, das sein Hund gefangen hatte. Auch er hat von Homer gehört, und »wären die Bücher nicht«, so wüßte er nicht, »was er an Regentagen anfangen sollte« -wenn er auch vielleicht in vielen Regenperioden nicht eines ganz durchgelesen hat. Ein Geistlicher, der sogar Griechisch sprechen konnte, hatte ihn fern in seiner heimatlichen Pfarrei gelehrt, die Verse im Alten Testament zu lesen, und jetzt muß ich ihm, während er das Buch hält, die Stelle übersetzen, wo Achilles dem Patroklus wegen seines traurigen Aussehens Vorwürfe macht:
Warum also geweint, Patroklus, gleich einem Mägdlein,
Hast du etwa allein
Botschaft aus Phthia vernommen?
Siehe, noch lebt, wie sie sagen, Menoetios,
Sprößling des Aktor,
Auch noch lebt in dem Volk der äakidische Peleus:
Welche
zween wir am meisten betrauerten, wenn sie gestorben.
(J. H. Voß)
Er sagt dazu: »Das ist gut.« Er hat einen großen Bund weißer Eichenrinde
unter dem Arm, die er an diesem Sonntagmorgen für einen kranken Mann gesammelt
hat. »Ich denke, es ist kein Unrecht dabei, so etwas am Sonntag zu tun«, sagte
er. Für ihn war Homer ein großer Schriftsteller; worüber er geschrieben hatte,
das wußte er überhaupt nicht. Es würde schwerfallen, einen einfacheren, natürlicheren
Menschen als ihn zu finden. Laster und Krankheit, die über die Welt einen so
dunkeln Schatten werfen, schienen kaum für ihn zu existieren. Er war ungefähr
achtundzwanzig Jahre alt und -hatte sein Vaterhaus und Kanada vor ungefähr zwölf
Jahren verlassen, um in den Staaten zu arbeiten und Geld zu verdienen, womit
er sich vielleicht schließlich in der Heimat ein Gütchen kaufen könne. Er war
grob gebaut und hatte einen untersetzten und schwerfälligen Körper, den er aber
doch mit einer gewissen Anmut zu tragen wußte, einen starken, sonnenverbrannten
Nacken, dunkles, buschiges Haar und matte, schläfrige blaue Augen, welche gelegentlich
in innerer Bewegung aufleuchteten. Er trug eine flache graue Tuchmütze, einen
schmutzigbraunen Überrock und rindslederne Stiefel. Er war ein starker Fleischesser,
der gewöhnlich sein Mittagessen zur Arbeit - er hackte einige Meilen von meinem
Haus entfernt den ganzen Sommer über Holz - in einem Zinneimer mit sich nahm;
er aß kaltes Fleisch, oft auch kaltes Murmeltier, und trank Kaffee aus einem
steinernen Krug, der an einem Bindfaden von dem Gürtel niederhing; manchmal
bot er mir davon einen Schluck an. Er kam früh daher, quer über mein Bohnenfeld,
aber er ging an die Arbeit ohne jene Hast und Eile, wie sie die Yankees zeigen.
Er wollte sich nicht weh tun. Ihm lag nichts daran, wenn er auch nicht mehr
verdiente als Kost und Wohnung. Oft ließ er sein Mittagessen im Gesträuch stehen,
wenn sein Hund ein Murmeltier gefangen hatte, und ging anderthalb Meilen weit
zurück zu seiner Wohnung, um es herzurichten und im Keller aufzuheben, nachdem
er sich eine halbe Stunde lang überlegt hatte, ob er es nicht einfach in den
Teich versenken könne bis zum Abend. Bei derartigen Erwägungen verweilte er
mit Vorliebe, Oft sagte er früh beim Vorübergehen: »Wie dicht die Tauben wieder
fliegen! Wenn nicht die Taglöhnerei jeden Tag mein Beruf wäre, könnte ich mir
alles Fleisch, das ich brauche, durch Jagen verschaffen - Tauben, Murmeltiere,
Kaninchen, Feldhühner -, weiß Gott, ich könnte alles, was ich in einer Woche
brauche, in einem Tag zusammenbringen!« - Henry David Thoreau, Walden oder Leben in den Wäldern. Zürich
1979 (zuerst 1854)
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