Mannesstolz  Die Lothringerin mit den nachtdunklen Augen und den üppigen Formen  hatte Fred in Beschlag genommen. «Sie konnte schon tun, wie eine Liebesgöttin», erzählte mir in abgebrochenen Sätzen der Freund, «das Blut hämmerte mir in den Schläfen; aber sie ergab sich mir nicht. Ich bat, beschwor sie, bot ihr mein ganzes Geld, das ich in der Tasche hatte, sie lachte, daß ich ihre blitzenden Perlenzähne sehen konnte, schüttelte den Kopf, durchbohrte mich fast mit den dämonischen Blicken ihrer unergründlichen Augen und — küßte mich fort und immerfort so heiß und glühend, daß ich beinahe die Besinnung verlor. Und nun flüsterte sie in mich hinein, daß sie mich lieb habe und daß sie sich mir zu eigen geben wolle — aus Liebe und nicht ums Geld; aber ich müßte ihr einen kleinen Beweis meiner Liebe geben — und nun küßte sie wieder so stürmisch und leidenschaftlich, daß mir fast der Atem verging.» Fred fuhr mit dem Jackenärmel über die Stirn und dann in der Erzählung weiter: «Ich versprach alles. Und so nahm sie mich bei der Hand, und wir verließen unbemerkt das Lokal, stiegen eine Treppe hinauf und betraten im nächsten Augenblick ein möbliertes Zimmerchen, wo ich mich aufs Sofa warf, nachdem sie eine große hellstrahlende Ampel angezündet. Sie brannte einige Räucherkerzchen ab, deren süßer, betäubender Rauch bald das ganze Zimmer erfüllte, und nun ging das Küssen wieder los. In mir war jeder Fiber bis zum Zerspringen gespannt. Da, mit einem Ruck sprang sie auf, löste blitzschnell alle Kleidungsstücke von dem schönen Körper und kniete dann vor mir nieder.» Da griff ich nach Fred; denn er wankte und wäre sicher auf Deck gestürzt. Der Unfall ging in einer Sekunde vorüber, und Fred fuhr fort: «So schwindelte mir auch damals, als die schöne Sirene so vor mir kniete. Ich wollte sie vom Teppich zu mir heraufziehen; sie sträubte sich mit den Worten: ‹Erst die Erfüllung meiner Bitte!› Ich war rasend vor Leidenschaft. Alles, sagte ich, was du willst, tue ich! Und nun entkleidete sie auch mich. Dabei bemerkte ich auf ihrem Leib eine Tätowierung, eine Schlange, mit dem Schwanzende unter der Brust ansetzend, sich zweimal um den Körper schlingend und dabei abwärts strebend. Wo ist das her? fragte ich. ‹O›, lachte sie, ‹das trage ich schon zwei Jahre!› Und sie war doch erst kaum siebzehn Jahre alt. Was willst du von mir? fragte ich endlich. ‹Wirst du meine Bitte erfüllen?› entgegnete sie. Gewiß, alles! war meine Antwort», und stöhnend setzte Fred hinzu: «Ich glaube, ich wäre in diesem Augenblick fähig und bereit gewesen, einen Mord zu begehen, wenn sie es verlangt hätte. Nun sprang sie auf, eilte zum Tische, nahm ein kleines Kästchen an sich und kehrte damit zurück. Mich küssend drückte sie mich sanft auf das Sofa nieder, indem sie dabei sagte: ‹So, halte ruhig, Liebling; du sollst von mir ein ewiges Andenken haben.› Nachdem das Kästchen geöffnet, und dabei zusammengebundene Nähnadeln, Tusche und Schalen zum Vorschein gekommen waren, ging mir ein Licht auf. Sie will dich tätowieren, dachte ich; das ist nicht schlimm. Als sie nun aber begann, da sträubte sich doch mein Mannesstolz — ich machte Einwendungen. Tätowiere mich, wo immer du willst, nur nicht da! sagte ich. ‹Du hast mich nicht lieb, geh›, antwortete sie schmollend und griff nach ihren Kleidern. Da wars aus mit meinem Widerstand. Zwei Stunden wohl dauerte die Prozedur; ich fühlte keinen sonderlichen Schmerz, was ich aber von gestern und heute nicht sagen kann — und das ist ganz recht so», schloß Fred mit einem Seufzer seine Erzählung. — «Und hat sie dir wirklich kein Geld abgenommen?» fragte ich. «Keines!» war die Antwort.

Genug! Welch' andere Triebfeder kann jenem schamlosen Weibe wohl mit Fug und Recht untergelegt werden, als tierische Sinnlichkeit? Oder handelt es sich bei diesem entarteten Tun um «wollüstige Grausamkeit»?   -  K. G., Etwas über das Tätowieren. Nach: Klaus Bergmann (Hg.): Schwarze Reportagen. Aus dem Leben der untersten Schichten vor 1914. Reinbek b. Hamburg 1984

 

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