üßchen   »Sie sagen weiß zu dir, dann sehen sie dich an, davon gerät ihr Blut in Wallung, und sie sagen schwarz zu dir. Der Rausch der Liebe. Darauf meint sie: ›Stimmt, der Anstand. Nun, dann seien Sie mein Bruder, Scipion, dann bin ich nämlich Ihre Schwester. Aber wenigstens ein Küßchen, Scipion. (Feurig:) Ein Küßchen! (Eigensinnig:) Ein Küßchen!‹ Und sie schlägt auf den Tisch! ›Ein einziges Mal, du Bandit, und danach Bruder und Schwester!‹. Und als sie sah, daß ich nicht wollte, sagt die Elende doch zu mir: ›Los, mach, kein Liebesküßchen, sondern ein Vetter-Kusine-Küßchen!‹ Und darauf, ich.«

Erschöpft hielt er inne. Es gab so viele Möglichkeiten. Sollte er diesen Kuß geben?

»Und darauf ich plötzlich«, fuhr er mit zusammengebissenen Zähnen fort, um eine Vorstellung vom Sex-Appeal der Prinzessin Ingrid alias Milady Roscoff zu geben, »mir dreht sich der Kopf, und pardauz! gebe ich ihr einen doppelten Zungenkuß mt innerem Umschlag!«

Salomon schloß die Augen, und seine Hand suchte Halt bei einer Straßenlaterne.

»Und als ich ihr diesen Kuß gegeben habe, ich bin der einzige in Marseille, der den fertigbringt, ich kann dir nicht sein ganzes Geheimnis verraten, aber ich kann dir sagen, daß die Zunge dabei einen Salto mortale macht. Ich gebe ihr also diesen Kuß, und sie schließt die Augen und fällt zu Boden, einfach so, tot! Tot, Mann, olala!«

Er zeigte auf den Bürgersteig mit beiden Händen, die er sich dann, zum Zeichen der Trauer, vors Gesicht hielt.

»Tot mt dreiundzwanzig Jahren, tot wie eine Fliege! Tot für immer, getötet von der Wollust!«  - Albert Cohen, Eisenbeißer, nach: Der Rabe. Magazin für jede Art von Literatur 25. Zürich 1989

Küßchen (2)  Eine gespenstische Gruppe: Einige rauchen friedlich und entspannt, stehen an der Wand, starren in den Himmel und summen eine unhörbare Melodie vor sich hin. Andere reden angeregt über dieses oder jenes, so als sei es das Normalste der Welt, sich hier und zu dieser Stunde zu treffen, um ein gemütliches Schwätzchen zu halten. Andere sitzen zusammengekauert in einer Ecke, zittern und kratzen sich, wie verlauste, herrenlose Tiere, verwirrt, wahnsinnig und ängstlich.

„Das sind Junkies", erklärt EI Vicio, als sie an ihnen vorbeigehen, ohne auch nur ein bißchen die Stimme zu senken. „Die warten auf ihren Dealer. Gleich könnte irgendeine Vogelscheuche hier auftauchen und Küsse verteilen. Bei jedem Kuß wird eine kleine schwarze Kugel von einem Mund zum anderen wandern. Danach wird er kassieren. Soundsoviel für das Küßchen."

„Eine kleine schwarze Kugel?" fragt Jesús.

Am Eingang zum Restaurant, wo sie von den Drogensüchtigen nicht mehr gesehen werden können, zieht El Vicio einige schwarze Plastikkügelchen aus seiner Tasche und streckt sie Jesus auf seiner Handfläche entgegen.

„Das ist die neue Mode. Sie wickeln das Heroin in kleine Stückchen von Müllbeuteln, machen diese Kügelchen daraus und verschweißen sie, indem sie sie mit dem Feuerzeug anbrennen. So sind die Kugeln luftdicht verschlossen und sie können sie in den Mund stecken. Wenn ein Bulle auf sie zukommt, schlucken sie die Kugel runter und es ist alles klar. Sie sind sauber. Später scheißen sie die Kugel aus, und die Sache fängt von vorne an. Es gibt Dealer, die haben fünfzehn oder zwanzig von diesen Kugeln auf einmal im Mund. Ab und zu kratzt einer von denen ab, weil die Kugeln nicht richtig verschlossen waren, aber das ist eben Berufsrisiko."   -  Andreu Martín, Don Jesús in der Hölle. Moos - Baden-Baden 1991

Küßchen (3)  

- Marcantonio Raimondi

Küßchen (4)  

"Liebe aus der Distanz"

- René Magritte

 

Küssen

 

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