alto mortale Sobald der Kiebitz im zeitigen Frühjahr in seinem Brutgebiet eingetroffen ist, beginnt er mit seiner imposanten Balz: Das Männchen fliegt zunächst eine längere Strecke mit tief ausholenden Flügelschlägen niedrig über den Boden. Dann steigt es plötzlich mit raschen Schlägen fast senkrecht zehn und mehr Meter nach oben und ruft dabei laut und heiser »chää-chwit«.
Nach einigen Metern Geradeaus-Flug folgt kopfüber ein dramatischer
Absturz mit »Salto mortale«. Der Kiebitz wirft
sich auf den Rücken, schlägt laut rufend ein bis zwei purzelbaumähnliche
Rollen in der Luft und fängt den Sturz kurz vor Erreichen des Bodens mit
einigen schnellen Flügelschlägen ab. - Aus: Salto. 99 Luftsprünge,
Purzelbäume und andere Kunststücke. Berlin 2001 (Wagenbach, Salto 100,
Hg. Susanne Schüssler, Maren Arzt)
Salto
mortale (2) Der gepriesne Salto mortale der Philosophen
ist oft nur ein blinder Lärm. Sie nehmen in Gedanken einen erschrecklichen Anlauf
und wünschen sich Glück zu der überstandnen Gefahr; sieht man aber nur etwas
genau zu, so sitzen sie immer auf dem alten Fleck.
- Friedrich Schlegel, nach: Salto. 99 Luftsprünge,
Purzelbäume und andere Kunststücke. Berlin 2001 (Wagenbach, Salto 100,
Hg. Susanne Schüssler, Maren Arzt)
Salto
mortale (3) Als er vier Jahre alt war, nahm ihn
der Vater mit in den Zirkus. Beim Trommelwirbel kletterte eine wunderschöne
Frau im Glitzertrikot auf die Plattform, und Klein György machte sich vor Aufregung
in die Hose. «Dann nimmt sie Schwung zum Salto mortale, verfehlt das Trapez
und kracht durchs Netz.» Für Jahre glaubte er, das sei jeden Abend so: Eine
Frau klettert hoch, lächelt, «die Zuschauer machen sich in die Hosen, sie schwingt
los und fällt, jede Nacht, um dort unten in einer Pfütze von Blut und Sand zu
liegen.» -
George
Tabori, nach Alfred Schlienger
, NZZ vom 25. Juli 2007
Salto mortale (3) Die Menschen, die löffelweise, keiner wuaßte vom anderen, in den Zirkus, eine kolossalische Rotunde des Staunens, geflattert waren, saßen zu Masse verkeilt, und man erwartete Miß Euphemia. An den Ranggeländern liefen Ornamente erregter Hände entlang, Bogenlampen schwangen ihre energetischen Milchkübel.
Man bemerkte Miß Euphemia erst, als sie an die Decke aufgezogen war; sie hielt sich mit den Zähnen in einen Strick verbissen. Ließ sich los, und ein Salto mortale war an der Decke geschlagen zum anderen Ende, wo sie mit den Zähnen ein Seil aufriß. Es fiel ein Programm. Miß Euphemia glitt beim dritten Male am Seil ab; sie beschloß aus formalen Gründen, sich das Genick zu brechen.
Senkrecht schrien die Leute, einige versuchten, von den Galerien herabzuspringen. Euphemia sah den schwebenden Kronleuchter und ergriff fünfeinhalb Meter über dem Boden das Seil. Die Leute wüteten.
Euphemia machte dann mit großer Sicherheit noch einige Salto mortales. Trotzdem,
sie war moralisch ruiniert. (Die stärkste Moralität die des Handwerks.) Und
sie fand es ziemlich, in ein Kloster einzutreten, um zu büßen. Die Menschen
leerten sich in den kühlen Abend, gingen auseinander und verschwanden. -
(
beb
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