ungenkuß   Die beiden Andenkondore spring-hoppeln mit leicht abgespreizten Flügeln aufeinander zu, schlagen die mächtigen hakenförmigen Schnäbel säbelnd gegeneinander, um dann mit geöffnetem Mund die Zungen umeinander zu legen. Bis auf das Klappern der Schnäbel ist dabei kein weiteres Geräusch zu hören - für Vögel, noch dazu in dieser Jahreszeit, besonders ungewöhnlich und doch normal. Der bei den meisten Vögeln die Laute produzierende »untere Kehlkopf«, die Syrinx, fehlt allen in Nord- und Südamerika lebenden Geierarten. Neuwelt-Geier werden anders als die Geier der Alten Welt nie laut. Die äußerlichen Ähnlichkeiten aller Geier sind ein klassisches Beispiel für konvergente Entwicklung, die durch eine ähnliche Lebensweise bedingt ist und nicht durch Verwandtschaft. Die Altwelt-Geier sind spezialisierte Verwandte von Habichten und Adlern, die amerikanischen sind Verwandte der Störche.

Das Schnäbeln war die Einleitung oder der Abschluß einer erfolgreichen Paarung. - Cord Riechelmann, Bestiarium. Der Zoo als Welt - die Welt als Zoo. Frankfurt am Main 2003

Zungenkuß (2) Der Räuber kam in die Nähe des Baumes und vernahm das Lied, das Eilis summte. Ihre Stimme klang so lieblich, daß es ihm zu Herzen ging. Er näherte sich ihr und meinte, sie wäre eine Elfe. Er redete sie an und fragte, ob sie ihm das Lied beibringen wollte. Sie sagte ja. »Komm dicht heran«, sprach sie, »stecke deine Zunge in meinen Mund und ich will das Lied hersagen. Wenn ich es fertig aufgesagt habe, ist es in deinem Kopf.«

Die Geschichte war wirklich so! Der Einfältige tat, was sie ihm gesagt hatte. Als er seine Zunge in ihren Mund steckte, drückte sie die Zähne scharf zusammen und biß ihm die Zunge ab. Da machte er sich auf die Beine und stürzte fort.

Die andern Räuber warteten inzwischen auf Nachricht von ihm. Als sie ihn kommen hörten, redeten sie ihn an. Doch er konnte ihnen nicht antworten, sondern lallte nur wie ein Truthahn, und kaum hörten sie diese Art Laute aus seiner Kehle, so liefen sie ihm davon und er setzte immer hinter ihnen her. Bei dem Entsetzen, das sie ergriffen hatte, jagten sie sich so lange ab, bis sie umfielen und tot waren. - (ir)

Zungenkuß (3)

Bruderkuß

- Dmitri Wrubel, East Side Gallery

Zungenkuß (4)

- Hans Bellmer

Zungenkuß (6)

- Uwe  Bremer, Der Mensch

Zungenkuß (7)  In einer Nacht sagte er: ›Ich liebe dich‹, und sie drehte sich um: ›Und liebst du mich‹, sagte sie, und er kam zu ihr und kniete nieder und legte seine Hände auf ihre beiden Wangen, seinen Mund auf ihren Mund, sanft, schnell, und seine Zunge schnellte vorwärts, als wäre sie ein Tier, das begierig ist auf ein neues Gras und doch Angst davor hat, und er stand rasch auf. Da bemerkte sie, daß seine Augen seitlich in seinem Kopf lagen, nicht wie menschliche Augen, die im Profil verschwinden, sondern wie Tieraugen, die klar, gewölbt und blau hervorstehen, die schrägen Wimpern glatt und regelmäßig gesenkt. - Djuna Barnes, Hinter dem Herzen. Berlin 1994

Zungenkuß (8)  Elvis Polk vögelte Jenny Swale, umgenietet oder nicht, und sorgte dafür, daß sie sich so gut fühlte, daß sie glatt unter die Lebenden zurückkehrte. Hirn und Blut und die ganze Scheiße waren zurück durch das Loch in ihren Schädel geflutscht, und das Loch schloß sich wieder und heilte, und ihre Augen sprangen auf. Sie packte Elvis Kopf mit beiden Händen und schob ihre Zunge so tief in seinen Mund, als wollte sie sein Herz küssen.

Als Elvis seine Zunge tief in Jennys Mund steckte und versuchte, ihr Herz zu küssen, da biß sie ihm die Zunge ab und spuckte ihm den blutigen Brocken ins Gesicht.

Der geträumte Schmerz war so intensiv, die geträumte Wende kam so unerwartet, daß Elvis kerzengerade aus seinem Traum aufschreckte. Er preßte die Hände auf den Mund, um den geträumten Schwall würgenden, ertränkenden Blutes zu stillen.   - Jerry Oster, Dirty Cops. Reinbek 1994 (zuerst 1992)

Zungenkuß (9)

- N. N.

Zungenkuß (10) Die Heißgeliebte bildete den Gegenstand mehrerer Wetten: gewisse junge Leute, die Söhne von schwerreichen Pflanzern aus dem Landesinnern, hatten sich geschworen, die große Pariser Künstlerin zu entführen - nicht um ein Lösegeld zu erpressen oder sie ihres Schmucks zu berauben, sondern, um sie mit Gewalt zu heiraten! Wahrhaftig eine Tollheit, die unserer würdig ist, denn in jedem Brasilianer schlummert ein Wilder, ein Tupi! Und so kam es, daß ich, kaum beim Hotel angelangt, Sarah Bernhardt blitzschnell umklammerte und sie auf meinen Armen rasend schnell die schreckerregende Treppe der Rôtisserie française emportrug, hinter mir ein Grüpplein Freunde, die ihre Fackeln schwenkten, gefolgt von einer Horde aufs höchste erregter junger Narren, die auf der Treppe miteinander rauften und mit der größten Unverschämtheit an die Tür hämmerten, die ich ihnen vor der Nase zugeschlagen und verriegelt hatte, während ich selbst vor Scham zu vergehen glaubte.

‹Stehen Sie auf, Monsieur›, sagte die Göttliche zu mir.

Sie stand mitten in dem taghell beleuchteten Salon, mitten unter ihren hundert Koffern, von denen die Zeitungen sprachen, ihren fünfzig Hutschachteln, ihren Pelzen, Sonnenschirmen, Schuhen, die das ganze Zimmer füllten; das Kleid in Fetzen, die Haare wild zerrauft; und lächelte mir durch die Blumen, die sie im Arm hielt, mit ihren meergrünen Augen zu. So stand sie da, klein und dünn, herrlich, fiebernd, beglückt über die Leidenschaft, die sie erregte, über das immer heftigere Pochen an der Tür, die Beifallsrufe der Menge unter ihren Fenstern, die sie auf dem Balkon zu sehen verlangte, Tausende von Stimmen, die in einem einzigen Ruf zusammenklangen und ihren Namen skandierten - ‹Sarah! Sarah› -, ihr vor Freude geschwellter Mund, ihr Mund, der mir Angst einjagte wie der Mund eines Reptils, der sich näherte, die Zunge, die Lippen bewegte, während sich ihre Arme ausbreiteten, um mich zu umfangen, mich an sich zu ziehen, mich an ihr Herz zu pressen... Ihre Zunge drang in mich ein, und ich höre sie murmeln: ‹Armer Kleiner!› - worauf ich selber, von eisiger Impotenz erfaßt, absolut erstarrt und gefesselt, flüsterte:

‹Verzeihen Sie ihnen, Madame, sie wissen nicht, was sie tun. Aber was Sie da hören, ist das Herz der ganzen Jugend meines Landes, das in Liebe für Sie und auch für Frankreich schlägt.. .›

Ich hörte ihr eigenes Herz wie rasend pochen. Das meine war verstummt...

‹Und jetzt gehen Sie, Kleiner›, sagte die Göttliche.

Sie schürzte den Saum ihres Kleides ein wenig und riß von irgendeinem Unterrock ein Stückchen Spitze ab, das sie mir in die Hand drückte. Dazu sagte sie, während sie mich hastig zur Tür hinausschob:

‹Zum Andenken... Zum Andenken an die Frau...›

Ich war vor Erregung wie gelähmt. Ich konnte keinen Schritt tun. Alles drehte sich um mich. Ich setzte mich auf die oberste Stufe der Treppe, das Spitzen-fetzchen in der Hand. Ich weiß nicht, was meine Freunde sich dazu gedacht haben könnten. Dann war ich plötzlich wieder unten in der Bar. Nichts als jeunesse dorée. Alles goß Champagner in sich hinein. Es kam zu einer ersten Rempelei und dann zu einer allgemeinen Schlägerei. Schließlich wurde die ganze Rôtisserie française geräumt, und am nächsten Morgen waren alle Zeitungen voll von dem Skandal: Ich hatte mich mit meinem besten Freund duelliert, und da es zu einem Totschlag gekommen war, veröffentlichten die Blätter meine an die Göttliche gerichteten Liebesgedichte! Ich war der Held des Tages, ich, der ich in tiefster Seele getroffen war und meine Leidenschaft geheimhalten wollte. Und all das wegen eines Fetzchens Spitze...    - Blaise Cendrars, Sternbild Eiffelturm. Zürich 1982 (zuerst 1949)

Zungenkuß (11)

- Moebius (Jean Giraud)

Zungenkuß (12)

- N. N.

Zungenkuß (13)

Zungenkuß (14)

- N. N.

Zungenkuß (15)

Zungenkuß (16)   Eines Tages schoß der Sonnengott frühmorgens einen Pfeil vom Himmel herab. Er fiel an dem Orte Tetzcalco nieder, wo gegenwärtig eine Stadt liegt. Aus dem Loch, das der Pfeil gemacht hatte, kamen ein Mann und eine Frau hervor; der Mann hieß »Kopf« oder »Sperber«, die Frau »Pflanzenhaar«. Des Mannes Körper war nur von den Achselhöhlen aufwärts vorhanden, der Körper der Frau ebenso, und um Kinder zu erzeugen steckte der Mann seine Zunge in den Mund der Frau. Wie Elstern oder Sperlinge bewegten sie sich nur hüpfend vorwärts. Der Mann machte sich nun einen Bogen und Pfeile, mit denen er nach den Vögeln schoß, die in der Luft flogen, und wenn er einmal zufällig den Vogel, nach dem er schoß, nicht traf, so fiel der Pfeil auf ein Kaninchen oder anderes Wild, das sie dann roh aßen, denn sie kannten noch nicht den Gebrauch des Feuers.  - (azt)

Zungenkuß (17)  

- Aus: Planet der Affen

Küssen Zungenbewegung
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