öllenbruder   Höllenbrüder treff ich hier genug. Wenn man erzählen könnte.

Müller Gottfried ist ein kleiner Junge, kaum achtzehn. Vater Säufer, Einbrecher, Heiratsschwindler (was nichts heissen will), aber brutal gegen Frau und Sohn. Der Kleine wurde, als der Vater einst wegen Einbruch 3 Jahre bekam, in eine Erziehungsanstalt gebracht. Musste, obwohl schwächlich, von morgens 7 Uhr bis abends 7 Uhr auf dem Feld arbeiten. Man gab den Jungen keine Hosenträger, um sie am Durchbrennen zu verhindern. Trotzdem flieht er nach zwei Wochen zu der Mutter. Ist vier Tage in den Wäldern. Dort will ihn die Polizei wieder holen. Da nimmt sich ein früherer Lehrer seiner an, lässt ihn die Sekundärschule machen. Er findet eine Stelle mit 185 Frs. Gehalt. Da schreibt ihm der Vater, er müsse 80 Frs. nach Hause schicken, bedroht ihn mit Tod, wenn er es nicht täte. Der Sohn bekommt Angst, brennt mit dem ersten Monatsgehalt nach Chiasso durch, nachdem er alle seine Schulden noch gezahlt hat. In Chiasso gelingt es ihm nicht, über die Grenze zu kommen. Er reist nach Zürich zurück, fast kein Geld. Wartet, bis alle ausgestiegen sind, öffnet sich die Adern. Doch macht er es ungeschickt. Es geht nicht. Er steigt noch aus, fällt im Wartesaal in Ohnmacht. Dann erwacht er von einem Nadelstich in die Backe. Im Kantonsspital. Hört, wie der Arzt sagt: «Der Simulant gehört ins B.» Um 12 Uhr nachts wird er hierher gebracht. Kommt in den Wachsaal der Tobsüchtigen. Nach einer Woche zu uns. Nur eine Anekdote. Nun kommt der Kleine bald fort, zu dem Lehrer, der sich seiner angenommen hat. Interessant besonders Protest gegen den Vater. Der Vater will, er soll stehlen, wie er. Der Sohn will ehrlich werden. Hat strohblondes, mit Wasser an den Kopf gepapptes Haar, ein nervöses, aber ausdrucksloses Gesicht mit einem sonderbar gemeinen Lächeln. Er wird ein guter Bürger werden. Schade.   - Friedrich Glauser, Morphium  und autobiographische Texte. Zürich 1980