erbst, weiblicher  Sie ist sehr häßlich. Sie ist dennoch herrlich! Die Zeit und die Liebe haben sie mit ihren Krallen gezeichnet und sie grausam gelehrt, was jede Minute und jeder Kuß an Jugend und Frische hinwegtragen.

Sie ist wirklich häßlich. Sie ist Ameise, Spinne, wenn Sie wollen, sogar Skelett; aber sie ist auch Liebestrank, Zauberpulver, Hexenkraft! Kurz, sie ist das Erlesenste selbst.

Die Zeit hat weder das behende Gleichmaß ihres Ganges, noch die unzerstörbare Feinheit ihres Gliederbaus zerbrechen können. Die Liebe hat die Süße ihres Kinderatems nicht verdorben; die Zeit hat nichts weggerissen von der Fülle ihres Haares, dem mit dem Duft eines wilden Tieres die ganze teuflische Lebenskraft des französischen Südens entströmt: Nîmes, Aix, Arles, Avignon, Narbonne, Toulouse, Städte, von der Sonne gesegnet, zauberhafte Städte der Liebe!

Die Zeit und die Liebe haben sie mit ihren argen Zähnen vergeblich gebissen; sie haben nichts weggenommen von dem unbestimmten, aber ewigen Reiz ihrer knabenhaften Brust.

Verbraucht vielleicht, aber nicht ermüdet und immer noch voll von heldischer Kraft, erinnert sie an jene edlen Vollblutpferde, die das Auge des wahren Kenners herausfindet, selbst wenn sie an eine Mietskutsche oder an einen schweren Karren gespannt sind.

Und dann, sie ist so sanft und so feurig! Sie liebt, wie man im Herbst liebt; es ist, als ob das Nahen des Winters ein neues Feuer in ihrem Herzen entzündete und als ob die dienende Hingabe ihrer Zärtlichkeit dich niemals ermüden könnte.   - Charles Baudelaire, Der Spleen von Paris. In: C. B., Die Tänzerin Fanfarlo und Der Spleen von Paris. Zürich  1977 (detebe 20387)

 

Herbst

 

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