rabdurchquerung
Mein Auge sieht weithin nichts als Verwüstung und Fäulnis,
untaugliche Pfade laufen durch den aufgeweichten Schlamm von Wiesen, auf denen
ein paar bleiche Grashalme faulen; die Gewässer stehen still, die Bäume haben
seit Jahr und Tag tödliche Wunden, die Statuen sind nur noch Gefüge aus Staubteilchen,
zusammengehalten durch die Totenstille der Luft; denn das tote Tier, so wage
ich zu vermuten, ist begraben, und ich bewege mich in dem Zwischenraum zwischen
dem verwesenden Skelett und dem Sargdeckel, dem, was ich Himmel nenne. Ich bin
somit in einem Grab. Wenn das Labyrinth nicht selbst tot und verwest ist, muß
ich annehmen, daß es eine Strecke, eine Linie in sich hat und hütet, die über
die Grenzen des Grabes hinausführt. Nun nehme ich an, das Labyrinth hat nichts
mit dem Tod des Tieres zu tun, es war schon
vorher da und hat das Tier überlebt; vielleicht hat es das Tier getötet, vielleicht
hat das ahnungslose Tier es verschluckt und ist daran gestorben, das Labyrinth
aber ist immer noch da, denn ich werfe ja das Problem des Labyrinths auf. Ich
kehre nun meine vorhergehende Gedankenreihe um. Wenn das Tier tot ist und ich
bin nicht tot, bin ich nicht das Tier; wenn das Tier tot ist und ich nicht das
Labyrinth bin, welches das Tier war, ist das Labyrinth nicht tot. Es gibt also
ein totes Tier, das Tier ist in ein Grab eingeschlossen, durch das Grab aber
verläuft ein Weg, der durch alle Teile des faulenden Aases führt; gesetzt den
Fall nun, die Materie, aus der der Weg besteht, unterscheidet sich dem Anschein
nach, was seine Gestalt und seine Farbe betrifft, nicht von den Überresten des
verwesten Tiers; dies könnte eine Sehne sein, ist aber keine; dies eine Ader,
sieht jedoch nur so aus; dies eine Faser, aber gewiß, diese Faser ist das einzige,
was weiterläuft. Also nehme ich an, daß es durch Aas und Verwesung einen Weg
gibt, so vorsichtig, umsichtig, ausweidiend und umschreibend er auch sein mag,
der mich vom einen Ende zum anderen Ende des Grabes führen muß. Denn nicht nur
bin ich für das Labyrinth bestimmt, sondern das Labyrinth ist mir geweiht, da
sein Sinn nur darin Hegt, daß der unermeßliche Friedhof begangen wird, um dort
anzukommen, wo das Grab aufhört. Daher nehme ich an, es gibt in keiner Hinsicht
mehr ein totales Labyrinth, das heißt ein Wirrwarr von möglichen Wegen, von
denen nur einer, außer daß er möglich ist, auch der Weg des Heils und der Wahrheit
ist; sondern ich nehme an, das Labyrinth hat sich aufgelöst, ist nun etwas Verfaultes
und Verwestes, ein totes, begrabenes Tier, und der Weg, der hindurchführt, ist
etwas anderes als das Labyrinth, etwas Älteres und etwas Zukünftiges und daher
Verborgenes und Rätselhaftes, Mysterienhaftes, das in seiner unversehrten Lebenskraft
und Konsequenz unbedingt offenbar werden muß; und, so indirekt es auch sein
mag, es wird sich als nichts anderes zeigen können denn als Wille zu einem geradlinigen
Weg, obgleich es nicht wird vermeiden können, nacheinander Ecken, Einbuchtungen,
Gräben und all das zu durchlaufen, was mir als das verwüstete Skelett eines
Wesens erscheint, das, vielleicht schon von dem inneren Labyrinth getötet, geboren
wurde. Nun muß ich, wenn ich das vermute, zugeben, daß sich in diesem Wirrwarr
von Zeichen meinem Blick keinerlei zusammenhängende Strecke offenbart; es erscheint
mir eher wie ein Leichenfeld nach einer Schlacht, ein Ort, den eine blinde,
gewaltige Grausamkeit aufgewühlt hat, wo weithin nun schon verwesende Leichen
liegen. -
(irrt)
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