Fallgeschwindigkeit    Sandage  fand heraus, daß der Virgohaufen tatsächlich einen Einfluß auf die Expansionsrate des lokalen Universums hatte und im Prinzip wirklich die Milchstraße anzog. Von allen Forschungsgruppen, die die Fallgeschwindigkeit der Milchstraße Richtung Virgo maßen, erhielt Sandage den niedrigsten Wert, nämlich etwa 175 Kilometer in der Sekunde. Davis und Tonry fanden, als sie ihre Rotverschiebungsstatistiken durcharbeiteten, den höchsten Wert aller Gruppen, nämlich eine Fallgeschwindigkeit von 470 Kilometern pro Sekunde. Die Verwirrung und die Vielzahl unterschiedlicher Ergebnisse rührten, wie Davis erklärte, zum Teil daher, daß sich die Astronomen nicht einigen konnten, welchen Wert man für die Rotverschiebungsgeschwindigkeit des Virgohaufens nehmen sollte. Galt die Rotverschiebung von M87, der Riesengalaxie nahe dem Zentrum des Haufens? Galt der Durchschnitt der in der Nähe des Zentrums gelegenen Galaxien? Oder sollte man mit dem Durchschnitt aller Galaxien des Haufens arbeiten? Und wenn ja, wie konnte man entscheiden, welche Galaxien zu dem Haufen gehörten und welche nicht? Enthielt der Virgohaufen tausend oder fünftausend Galaxien? Solche Streitfragen waren es, die den pflichtbewußten Sandage für weitere zehn Jahre an das Teleskop trieben. Und er hatte sich tatsächlich darangemacht, ein komplettes Inventar der Virgo-Galaxien zu erstellen. Es gab laut Davis noch eine weitere Unwägbarkeit, die den Versuch erschwerte, Omega aus der Fallgeschwindigkeit Richtung Virgo zu errechnen: die Massendichte des Universums. Der errechnete Omegawert hing nicht nur von der Fallgeschwindigkeit ab - je schneller sich die Milchstraße Virgo näherte, desto höher war Omega -, sondern auch davon, wie groß der Unterschied in der Massendichte zwischen dem Virgohaufen und dem Rest des Universums war.

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 Sie hatten die Werte von über zweitausend Galaxien, ein Stück des Universums mit einem Durchmesser von 300 Millionen Lichtjahren, in ihrem Computer gespeichert und hatten meisterhafte Algorithmen entwickelt, um die Eigenschaften dieses Universums zu berechnen. Und doch waren sie in gewisser Weise über das Betrachten von Bildern noch immer nicht hinausgekommen.

Sobald man zu den Fragen vorstieß, die wirklich zählten - Welchen Wert hat Omega? Ist das Universum offen oder geschlossen? Hat es eine Pfannkuchenstruktur? -, war all diese methodische Strenge seltsam irrelevant. Es zeigte sich immer wieder, daß die Antworten nach wie vor auf den gleichen alten Glaubenssätzen, Annahmen und Vorurteilen beruhten, die noch aus der Zeit stammten, als die Menschen am Lagerfeuer gesessen und in den Himmel gestarrt hatten.

Nach Davis' Zählung war die Galaxien-Dichte im Virgo-Superhaufen nur etwa doppelt so groß wie im restlichen Raum, ein überraschend schwacher Kontrast. Daß ein solcher relativ wenig konzentrierter Haufen eine derart hohe Fallgeschwindigkeit der Milchstraße verursachen konnte, ließ auf einen Omegawert von 0,5 schließen, und das war ein erstaunlich hoher Wert. Wenn das stimmte, dann hatte das Universum die Hälfte der kritischen Massendichte, die es nach der Inflationstheorie haben mußte und die notwendig wäre, um die Raumzeit flach und das Universum genau in der Schwebe zwischen Expansion und Kontraktion zu halten. Davis' Wert war der höchste, den man jemals gemessen hatte, und er hielt es nicht für Zufall, daß seine Messung auf dem größten Stück Kosmos basierte, das man jemals »gewogen« hatte. Je größer der Teil des Universums, den man berücksichtigte, desto mehr dunkle Materie schien man vorzufinden. Davis folgerte daraus, man müsse vielleicht nur einen hinreichend großen Teil des Universums »wiegen«, um festzustellen, daß Omega null betrug und das Universum geschlossen war.  - Dennis Overbye, Das Echo des Urknalls. München 1993

Fallen Geschwindigkeit

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