ame, schrullige     Als er sie  aus der Nähe betrachtete, fielen ihm die feinen Fältchen und der welke Hals und ihre mageren Hände auf, die ihr Alter verrieten.

»Darf ich Ihnen Ihren Hut abnehmen, Herr Kommissar? Setzen Sie sich in den Sessel, der Ihnen bequem ist. Sie kommen sich sicher sehr beengt vor in meinem Puppenhaus, nicht wahr?«

Ihr Charme lag vielleicht in dem Eindruck, daß sie sich immer über sich selber lustig zu machen schien.

»Man hat Ihnen sicher gesagt oder wird es Ihnen sagen, daß ich verrückt bin, und es stimmt auch, daß ich voller Schrullen stecke. Sie können sich nicht vorstellen, wie einen die Marotten in Beschlag nehmen, wenn man allein lebt. Probieren Sie doch diesen Sessel am Fenster? Machen Sie mir die Freude und rauchen Sie Ihre Pfeife. Mein Mann rauchte von morgens bis abends Zigarren, und nichts riecht so penetrant in einem Haus wie Zigarrenqualm. Unter uns gesagt, er machte das glaube ich gar nicht so gerne. Er hatte erst sehr spät damit angefangen, als er schon über vierzig war, genau zu der Zeit, als die Juva-Creme berühmt wurde.«

Und schnell, wie um ihre versteckte Bosheit zu entschuldigen, fügte sie hinzu:

»Wir haben alle unsere Schwächen. Ich nehme an. Sie haben schon im Hotel Kaffee getrunken? Vielleicht darf ich Ihnen einen Calvados anbieten, der schon über dreißig Jahre alt ist?«

Er merkte, daß es ihre Augen waren, die ihr außer ihrer lebhaften Art dieses jugendliche Aussehen gaben. Ihr Blau war heller als der Septemberhimmel am Meer, und sie verloren nie ein verwundertes Erstaunen, das zu Alice im Wunderland gepaßt hätte.

»Ich werde auch einen Schluck nehmen, damit Sie nicht allein trinken müssen, unter der Bedingung allerdings, daß Sie es nicht unpassend finden. Sie sehen, ich stehe zu meinen kleinen Schwächen. Ich bin gerade erst von der Beerdigung der armen Rose zurückgekommen. Es war nicht leicht, Mutter Leroy dazu zu bringen, mir zu helfen. Sie haben sicher bemerkt, daß die Möbel, die draußen stehen, in Roses Zimmer gehören. Ich fürchte den Tod, Herr Kommissar, und alles, was mit ihm zusammenhängt. Solange das Haus nicht von oben bis unten geputzt ist und einige Tage durchgelüftet wurde, meine ich immer den Tod zu riechen.«  - Georges Simenon, Maigret und die alte Dame. Zürich 1978 (detebe 1553, zuerst 1951)

 

Dame Schrulle

 

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