iechen  Im Gerichtssaal gibt es eine sehr interessante Einstellung. Wenn Louis Jourdan als Zeuge aufgerufen wird und in den Gerichtssaal kommt, muß er hinter Alida Valli, die auf der Anklagebank sitzt, hergehen. Sie kehrt ihm den Rücken zu, aber ich wollte, man sollte den Eindruck haben, daß sie ihn spürt, nicht daß sie seine Gegenwart ahnt, sondern daß sie ihn riecht, mit der Nase.

Deshalb haben wir das in zwei Phasen filmen müssen. Die Kamera ist auf Alida Valli gerichtet, und über ihre Schulter hinweg sieht man, ganz hinten auf der Seite, Louis Jourdan hereinkommen, er geht hinter ihr vorbei in den Zeugenstand. Ich habe zuerst den Schwenk um 200 Grad gedreht, der Jourdan zeigt, wie er von der Tür bis hin zum Zeugenstand geht, aber ohne Alida Valli. Dann habe ich die Großaufnahme mit Alida Valli vor der Rückprojektion gedreht, dazu mußte ich sie auf einen Drehstuhl setzen, um den Rotiereffekt zu bekommen. Gegen Ende der Bewegung mußte sie dann aus dem Bild verschwinden, die Kamera mußte genau bei Jourdan sein, wenn er in den Zeugenstand tritt. Das zu drehen war sehr kompliziert, aber sehr interessant. - Alfred Hitchcock, in: François Truffaut, Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? München 1973 (zuerst 1966)

Riechen (2)  »Gut riecht vieles. Ein Bund Lavendel riecht gut. Suppenfleisch riecht gut. Die Gärten von Arabien riechen gut. Wie riecht ein Säugling, will ich wissen?«

Die Amme zögerte. Sie wußte wohl, wie Säuglinge rochen, sie wußte es ganz genau, sie hatte doch schon Dutzende genährt, gepflegt, geschaukelt, geküßt ... sie konnte sie nachts mit der Nase finden, sie trug den Säuglingsgeruch selbst jetzt deutlich in der Nase. Aber sie hatte ihn noch nie mit Worten bezeichnet.

»Na?« bellte Terrier und knipste ungeduldig an seinen Fingernägeln.

»Also -«, begann die Amme, »es ist nicht ganz leicht zu sagen, weil... weil, sie riechen nicht überall gleich, obwohl sie überall gut riechen, Pater, verstehen Sie, also an den Füßen zum Beispiel, da riechen sie wie ein glatter warmer Stein - nein eher wie Topfen ... oder wie Butter, wie frische Butter, ja genau: wie frische Butter riechen sie. Und am Körper riechen sie wie ... wie eine Galette, die man in Milch gelegt hat. Und am Kopf, da oben, hinten auf dem Kopf, wo das Haar den Wirbel macht, da, schauen Sie, Pater, da, wo bei Ihnen nichts mehr ist ...«, und sie tippte Terrier, der über diesen Schwall detaillierter Dummheit für einen Moment sprachlos geworden war und gehorsam den Kopf gesenkt hatte, auf die Glatze, »... hier, genau hier, da riechen sie am besten. Da riechen sie nach Karamel, das riecht so süß, so wunderbar, Pater, Sie machen sich keine Vorstellung! Wenn man sie da gerochen hat, dann liebt man sie, ganz gleich ob es die eignen oder fremde sind. Und so und nicht anders müssen kleine Kinder riechen. Und wenn sie nicht so riechen, wenn sie da oben gar nicht riechen, noch weniger als kalte Luft, so wie der da, der Bastard, dann ... Sie können das erklären, wie Sie wollen, Pater, aber ich« - und sie verschränkte entschlossen die Arme unter ihrem Busen und warf einen so angeekelten Blick auf den Henkelkorb zu ihren Füßen, als enthielte er Kröten -, »ich, Jeanne Bussie, werde das da nicht mehr zu mir nehmen!« - Patrick Süskind, Das Parfüm. Die Geschichte eines Mörders. Zürich 1985

Riechen (3)  Er sehe sich wieder in dem verräucherten Zimmer zu Füßen seiner Schwester und ihres Freundes, seines jetzigen Schwagers, sitzen und rieche die Luft, wie er sie nur damals habe riechen können, als ihm das Denken noch nicht die Sinne geraubt und der Widerstand gegen das Andenken ihn noch nicht taub, blind, stumm und gefühllos gemacht, ihm aber vor allem das noch nicht betäubt habe, dem selbst die Negation fehle, nämlich den Geruchssinn. Gerade diesen Sinn vermisse er am meisten, denn dieser Sinn sei nicht einfach Lieferant des Denkens wie die anderen Sinne, die sich allesamt in dieses Denken hätten einspannen lassen. Das Riechen sei immer für sich selbst gewesen und habe Bilder erzeugt von einer Weite, die sich wie ein langer nächtlicher Heimweg erstreckt habe oder eine Schneelandschaft mit blauen Schatten oder die feinen Verästelungen der Robinienzweige, durch die die Sonne auf den Küchenboden falle. Das Riechen habe die Natur nicht verkitscht wie die anderen Sinne, die immer umgehend an den Kitsch appellierten, so als stünde hinter jedem Abendhimmel immer eine tiefe Bedeutung, hinter jedem Vogelruf die Erinnerung an die Vergänglichkeit alles Seienden. Das Riechen sei frei von dieser Fälschung der Natur, weil es sich nicht in Gedanken übersetzen lasse. Deshalb vermisse er das Riechen am meisten und deshalb rieche er den verräucherten Raum seiner Jugend, wenn er den Bericht Sara Janes lese.

Er könne an Hand von Gerüchen oder der Erinnerung an Gerüche Szenen genauer beschreiben, als wenn er sie bildlich vor sich sehe. Überhaupt leite ihn das Riechen anders durch die Welt, teile die Welt nicht, oder teile sie in andere Abschnitte, in unverbrauchte Abschnitte, nicht in Tag und Nacht und Du und Ich und Fern und Nah, sondern in Geschlossenes und Offenes, in Liegendes und Treibendes, in Harrendes und Sinkendes und so immer weiter und sich immer weiter verändernd bei jedem Schritt.  - (rev)

Geruch
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