rutkasten
Lasse sich doch kein Dichter in einer Hauptstadt
gebären und erziehen, sondern womöglich in einem Dorfe,
höchstens in einem Städtchen, die Überfülle und die Überreize einer großen Stadt
sind für die erregbare schwache Kindseele ein Essen an einem Nachtisch und Trinken
gebrannter Wasser und Baden in Glühwein. Das Leben erschöpft sich an ihm in
der Knabenzeit und er hat nun nach dem Größten nichts mehr zu wünschen als höchstens
das Kleinere, die Dorfschaften. Man gewinnt und errät aber nicht so viel, wenn
man aus der Stadt ins Dorf kommt als umgekehrt aus Joditz nach Hof. Denk' ich
vollends an das Wichtigste für den Dichter, an das Lieben: so muß er in der
Stadt um den warmen Erdgürtel seiner elterlichen Freunde und Bekanntschaften
die größern kalten Wende- und Eis-Zonen der ungeliebten Menschen ziehen, welche
ihm unbekannt begegnen und für die er sich so wenig liebend entflammen oder
erwärmen kann als ein Schiffvolk, das vor einem andern fremden Schiffvolk begegnend
vorübersegelt. Aber im Dorfe liebt man das ganze Dorf und kein Säugling wird
da begraben, ohne daß jeder dessen Namen und Krankheit und Trauer weiß; Joditzer
haben sich alle ineinander hineingewohnt und hineingewöhnt; - und dieses herrliche
Teilnehmen an jedem, der ein Mensch, welches daher sogar auf den Fremden und
den Bettler überzieht, brütet eine verdichtete Menschenliebe aus und die rechte
Schlagkraft des Herzens. - Und dann, wenn der Dichter aus seinem Dorfe wandert,
bringt er jedem, der ihm begegnet, ein Stückchen Herz mit und er muß weit reisen,
eh er endlich damit auf den Straßen und Gassen das ganze Herz ausgegeben hat.
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Allerdings gibt es noch ein größeres Unglück als das, in einer Hauptstadt
erzogen zu sein - nämlich das, unterwegs erzogen zu werden als ein vornehmes
Kind, das nun jahrelang durch fremde Städte und Menschen fährt und kein Haus
kennt als den Kutschenkasten. - Jean Paul, Selberlebensbeschreibung
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