nterwegs In den letzten drei Tagen habe ich mich an einem Traum erfreut, der sich jede Nacht fortsetzt. Es ist ein sehr eigenartiger Traum, und ich verfolge mit großem Interesse, was als nächstes geschehen wird. Er beginnt mit einem blaßgrünen Schneesturm in einer ländlichen Gegend, die weder hell noch dunkel ist. Es ist, als wanderte ich mühelos durch den Schnee, an Bäumen vorbei, deren Äste wie zerzauste Flügel sind und die es auf mich herabtropfen lassen, wenn ich an ihnen vorübergehe. Mir ist weder warm noch kalt, und ich kann nicht sagen, ob ich irgendwelche Kleider anhabe. Unterwegs begegne ich verschiedenen Personen, die als Umrisse deutlich erkennbar sind, dabei aber keine Gesichter haben. Sie sind unterwegs so wie ich, in verschiedene Richtungen. Die Gegend ist eintönig, und in weiter Ferne kann ich Gebäude sehen, aber manchmal stoße ich unterwegs auf Vogelkäfige - manche von ihnen leer und andere mit verschiedenen Formen darin -, auch Terrakottabüsten und stellenweise gepunktete Statuen, die unterschiedliche Dinge darstellen.
Mein Weggefährte bei alldem ist eine durchsichtige Kugel, die immer dicht
hinter mir ist, wohin ich auch gehe. Sie singt, während wir umherziehen, aber
ich höre keine Worte, obwohl die Stimme ganz klar ist. Es ist etwas Unerträgliches
am Gesang dieser durchsichtigen Kugel. Einige Zeit danach kommen wir zu einem
Kloster, wo wir beide von einer Anzahl von Mönchen mit Hundeköpfen herzlich
empfangenwerden. Sie sagen, sie seien Vollblutengel und das Kloster sei ihr
Stall. -
(
fran
)
Unterwegs (2)
- Guido Crepax
Unterwegs (3)
»Ich träume - Thanatoide träumen, obwohl
wir nicht immer wirklich träumen, wenn wir glauben, daß wir träumen -, daß ich
in einem fahrenden Zug bin, den es irgendwo tatsächlich geben muß, ganz gleich,
ob ich träume oder nicht, weil ich nämlich immer dorthin gehe, wo er gerade
ist... Ich bin bei Bewußtsein und liege ausgestreckt auf einem Eisblock, und
es sind zwei Begleiter bei mir, die an jeder Station versuchen, einen Coroner
zu finden, der bereit ist, eine Autopsie vorzunehmen, damit die Welt endlich
erfahrt, daß ich ermordet worden bin und wer meine Mörder sind... Ich kann die
Gesichter dieser beiden nie erkennen, obwohl sie sich hin und wieder zu mir
setzen. Es ist immer kalt und immer Nacht, und wenn es so etwas wie einen Tag
gibt, dann verschlafe ich ihn vielleicht, ich weiß es nicht. Wir sind schon
zu viele Jahre unterwegs, und jedesmal wenn wir in einen neuen Gerichtsbezirk
kommen, sind die Leute vorgewarnt: Jedesmal stehen Männer mit Hüten und Waffen
auf dem Bahnsteig und machen uns Zeichen, daß wir weiterfahren sollen, und sie
werden beschwören, daß sie uns nie gesehen haben. Das macht die Hingabe, mit
der sich die beiden, die sich an mich erinnern, jahrein, jahraus auf unserem
Weg von Stadt zu Stadt um mich kümmern, wirklich außergewöhnlich. Sie leben
von Automatenkaffee, Zigaretten und Snacks, spielen viel Whist und streiten
sich wie Theologen darüber, warum Brock Vond mich - man kann's nicht anders
sagen - auf Eis legen wollte. ›Alles nur aus Liebe‹, sagt der eine, und dann
antwortet der andere: ›Quatsch! Es hat was Politisches dahintergesteckt‹ - ›Ein
Polizist, der gegen seine Befehle gehandelt und nur seine ganz privaten Ziele
verfolgt hat.‹ - ›Nein, einer, der die Befehle eines auf Tod aufgebauten repressiven
Regimes befolgt hat.‹ Und so weiter... Ich höre sie in den rhythmischen, dunklen
Stunden. Sie sind die letzten meiner Ehrenwache, sie halten treu zu mir, bis
zum letzten Depot, bis zur letzten Ablehnung.»
-
Thomas Pynchon, Vineland. Reinbek bei Hamburg 2015
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