randung Mittlerweile begann das kleine Boot in der Dünung zu stampfen, die inzwischen, wie man sagen musste, deutlich ausgeprägt war. Auch mit dem Licht geschah etwas, als würde die Luft vor ihnen von unbekanntem Wetter trüber. Selbst mit Fernglas war es schwierig, den Schoner im Auge zu behalten.
«Führt uns dein Traumschiff da in irgendeinen Schlamassel?», rief Doc, noch nicht völlig in Panik.
Die Brandung - wenn es denn eine war - hatte sich zu einem ohrenbetäubenden Tosen gesteigert. Brennende Salzgischt peitschte auf sie ein und geriet ihnen in die Augen. Sauncho drosselte den Motor und schrie: «Scheiße, was ist das?»
Doc war auf dem Weg nach achtern gewesen, um zu kotzen, beschloss aber, noch zu warten. Sauncho zeigte ziemlich aufgeregt nach backbord voraus. Es waren keine Felsen zu sehen, keine Uferlinie, überall nur offener Ozean, doch im Vergleich mit dem, was sie nun erblickten, nahm sich das Nordufer von Oahu in seinen majestätischsten Momenten wie Santa Moriica im August aus. Doc schätzte die von Nordwesten auf sie zurollenden Wellen auf neun bis elf Meter vom Kamm bis zum Tal -sie krümmten sich wuchtig, gleißten in der Sonne, brachen in wiederholtem Donnern.
«Kann nicht die Cortes Bank sein», sagte Sauncho, der mit zusammengekniffenen Augen seine Karten studierte, «so weit sind wir nicht gekommen. Aber sonst gibt's hier nichts, also was zum Teufel ist das?»
Sie wussten es beide. Es war St. Flip
von Lawndales mythische Brandung, unter Veteranen auch als Schwelle des Todes
bekannt. Und der Schoner hielt genau darauf zu. -
Thomas Pynchon, Natürliche Mängel. Reinbek bei Hamburg 2010
Brandung (2)
Jenseits der Brandung konnte man schwimmen. Aber wie durch die
anstürmende Glaswand durchkommen? So weit hinaus, daß du bei der Welle
bist, kurz bevor sie bricht, dann durch sie durch, dann bist du im
ruhigsten Pazifik,
wo die Wellen noch keine scharfen Schaumkronen haben, sondern große
runde Rücken. Es war ihm nicht ganz wohl bei dieser Überlegung. Aber er
war jetzt so viele tausend Kilometer gereist bis zu diesem Ozean, jetzt
durfte er sich nicht abschrecken lassen. Die Brandung ist das Fest.
Dieses Heranrasen, dann Schaum und Donner. Das ist alles zuviel. Die
Sonne, das Salz. Schaum, Donner, Glut und Salz. Hast du's jetzt? Bist du
soweit? Du bist soweit. Du mußt dich entscheiden für eine Welle,
die du nimmst. Die nächste nimmst du. Die nächste kam an, wurde, je
näher sie kam, desto größer, höher. Er sah hinauf. Drei Meter
mindestens, dachte er. Da war sie schon da. Er kam nicht durch.
Vielleicht fehlte es ihm an Entschlossenheit. Die auf ihn einschlagende
Welle warf ihn einfach um. Er schlug mit dem Rücken und mit dem
Hinterkopf auf den gar nicht weichen Sand, überschlug sich rückwärts,
wurde unter Wasser gewirbelt, gedreht, geworfen. Luft hatte er
eigentlich nicht mehr. Er war m einem tosend zusammenstürzenden
Knstallpalast, in dem man erstickte. Also jetzt. Was denn?! Dann kriegte
er Haftung. Die Hände krallten in den Sand. Sie wollten verhindern, daß
ihn das zurückflutende Wasser wieder mitrisse. Er lag am Strand, konnte
sich nicht rühren. Lena und Sabine beugten sich über ihn. Nur kein
Aufsehen, bitte. Hier liegt er doch ganz gut. Grins', daß die ihren
Schreckensblick mildern. Keinesfalls läßt er sich jetzt von euch
hinausführen. Er liegt hier, bis er wieder selber kann. Er liegt hier
wunderbar. Umspielt sozusagen von ein bißchen Schaum und Gischt. Er
forderte Lena und Sabine auf, sich doch auch in dieses ungefährlich auf
und ab treibende Wasser zu setzen. Als er sich aufrichtete, tat ihm
verschiedenes weh.
- Martin Walser, Brandung. Frankfurt am Main 1987
Brandung (3) Einen Augenblick lang
sieht Halm die weiße Brandung als Zahnreihe eines gewaltigen Mundes, der
in der Morgensonne lacht. Weit draußen über dem Meer, ein Wolkenwall.
Auf dem Pfad, der in der Karte Coastal Edge Trail hieß, ging er bergauf,
droben durch hohes, dichtes Gestrüpp, südwärts. Um steil emgeschnittene
Buchten herum. Drunten immer der Pazifik, die von der Brandung
bestürmten Felsen und Buchten. Und weil er gern, wenn auch mit fremden
Füßen, in dieser anderen Sprache spazierenging, dachte er, als er auf
die hereinstürmende Brandung hinabsah, die ihren weißen Schaum in den
Buchten verspritzte: Coast-fucking Pacific. - Martin Walser, Brandung. Frankfurt am Main 1987
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