ertiefung  Qualm, so dicht wie feine graue Seide, hüllte das Hinterzimmer von der Decke bis zum Boden ein, wirbelte um eine pfirsichfarbene elektrische Deckenlampe, ließ die schweigenden Männergestalten, die sich um einen Tisch in der Mitte gruppiert hatten, verschwimmen. Crane ging voran zu einem anderen Tisch in der Nähe der Tür, tastete nach einem Stuhl und setzte sich. Die beiden anderen, die sich behutsam vortasteten, stießen zu ihm. Ihre Augen gewöhnten sich nur langsam an den Dunstschleier. »Puh!« flüsterte Williams. »Wie Nebel am East River.«

An ihrer Haut, auf ihren Lippen hatte der Qualm tatsächlich Form, Struktur. Er war warm und feucht, wie menschlicher Atem. Er war süß und schwer, wie Chloroform; nur daß er nicht medizinischen Zwecken diente.

Endlich gelang es ihnen, den ganzen Raum zu sehen. Seine Wände waren aus kirschrotem Backstein, stellenweise dunkel gefärbt von Feuchtigkeit; seine Decke war aus rauhem Putz. Es gab keine Fenster, doch durch das schachbrettartige Gitter eines Lüftungsschachts kam Luft herein. Sechs Männer saßen um den Tisch m der Mitte, die Köpfe vor einem siebten gebeugt, der mit gekreuzten Beinen auf dem Tisch thronte. Sein Kopf war kahl; sein Gesicht war dick und rund und gelb; seine Arme waren über der Brust verschränkt. Sein Gesichtsausdruck war friedlich. Er hatte keine Zigarette, die sechs anderen aber rauchten.

 »Was zum Teufel geht da vor?« flüsterte O'Malley.

Crane schüttelte den Kopf, hielt die Augen auf die Männer gerichtet, die schweigend rauchten und offenbar nicht wußten, daß jemand den Raum betreten hatte. Der Mann mit dem runden Gesicht, der auf dem Tisch saß, hatte die Augen offen, aber er schien nichts zu sehen. Die Pupillen bewegten sich nicht, als der Kellner, Ty, mit ihrer Flasche Whiskey, Gläsern, Selterswasser und Eis kam, alles klappernd auf den Tisch stellte.

Crane legte einen Finger auf die Lippen. »Sch!«

»Machen Sie sich um die Jungs keine Sorgen«, sagte der Kellner laut. »Machen Sie sich überhaupt keine Sorgen. Sie sind nicht auf der selben Ebene wie wir.« Er füllte jedes der drei Gläser fast zur Hälfte mit Whiskey. »Sie werden gerade vertieft.«

Cranes Augen weiteten sich erstaunt. »Vertieft?«

Ty drückte den Hebel an der Siphonflasche, spritzte Flüssigkeit über die Tischfläche. »Tschuldigung.« Er wischte den Tisch mit einer Serviette trocken. »Ja, vertieft. Sehen Sie den Kerl auf dem Tisch? Tj a, er ist Bräh-mer. Er erledigt das Vertiefen.«

»Ach, du lieber Gott!« sagte Crane. Er war wirklich verblüfft. »Ach, du lieber Gott!«

Der Kellner zielte diesmal sorgfältig mit dem Selterswasser, füllte alle drei Gläser. »Die anderen Typen da«, bemerkte er, »sie sind Untergötter. Aber sie sind noch nicht auf derselben Ebene wie Bräh-mer. Sie müssen weiterrauchen, um es zu scharfen.«

Crane nahm sein Glas an und fragte: »Wieso wissen Sie soviel darüber?«

»Zum Teufel noch mal! Als ob ich sie nicht schon seit dem letzten Monat beobachte!« Er beugte sich über den Tisch, sagte vertraulich: »Sie wollen nächste Woche aus mir einen Gott machen.«

»Mensch, toll.« Cranes Augen über dem oberen Rand seines Glases waren weit offen. »Einfach toll.« Im Gegensatz zu dem süßlichen Qualm im Raum war der Whiskey ganz bitter. Er ließ ihn im Mund hin und her rollen, fragte dann: »Welcher von den Jungs da ist Sam Udoni?«

Der Kellner sah sich die Männer genau an. »Das ist Sam. Der dunkle Typ, genau gegenüber von Ihnen auf der andern Seite des Tisches. Er ist Nar-sinh.«

»Nar-sinh?«

»Der Löwengott.«

»Oh!« Crane nickte mit dem Kopf, als ob ihm alles klar wäre. »Der Löwengott.«

Der Kellner gab ihnen auf einen weiteren Zehndollarschein heraus, nahm einen Dollar an und wandte sich zum Gehen. Crane sagte: »Sekunde noch.« Der Kellner drehte sich schwungvoll um. Crane fragte: »Wie lange machen sie das noch weiter?«

»Sie kommen gerade erst in Fahrt.« Der Kellner runzelte nachdenklich die Stirn. »Sie haben noch nicht mal die fünfte Ebene erreicht.«

»Auf wie viele müssen sie kommen?«

»Sie müssen auf die siebte Ebene kommen, bevor sie überhaupt mit Bräh-mer sprechen können.« Der Kellner runzelte wieder die Stirn. »Das dauert noch drei Runden Gin und noch drei Zigaretten, die Ruhepausen nicht mitgerechnet.«

»Mein Gott!« sagte O'Malley. Seine Stimme klang ehrfürchtig. »Man muß sich ja geradezu benebeln, um mit Bräh-mer zu sprechen.« - Jonathan Latimer, Leiche auf Abwegen. Zürich 1988 (detebe 21592, zuerst 1936)

 

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