Unterwasserrestaurant    Augenblicklich  fand sie sich, freilich halb betäubt, in ›Jerrys Luftblase‹ wieder ausgesetzt. Hier umgab sie ein durchsichtiges, breit ausgefaltetes Sauerstoffzelt, unter dem zu ihrem Empfang eine üppige und festlich geschmückte Tafel vorbereitet war. Frische Austern, warmes Fleisch, Pilze und Früchte, Wein, Tee und allerlei Backwerk waren zur Auswahl hergerichtet, und nichts brauchte mehr angefordert werden. Nur war es lediglich die halbe Tafel, die sich ihr darbot, der andere Teil befand sich jenseits der Zeltplane, setzte sich durch einen ruft- und wasserdichten Schlitz nach draußen ins dunkle Wasser hin fort. Dort am anderen Ende saß denn auch, schwebte sitzend oder einfach: thronte das unmäßige Haupt des Gastgebers. Die Entblößte setzte sich an den gedeckten Tisch, ohne sich jetzt noch zu genieren, denn obgleich die guten und gerechten Augen des Kolosses beständig auf ihr ruhten, wußte sie doch ganz sicher, daß es blinde oder nur scheinbare Augen waren. Und das schiefe Maul, das sie freilich nach wie vor entsetzte, konnte ihr durch die feste Plane nicht näherkommen. Allein dieser sonderbare Kitzel seiner Stimme, so dicht an ihrem Ohr, machte ihr noch zu schaffen, und gerade wieder, als er sie auf seine altmodische Weise willkommen hieß, da hätte sie doch lieber seine Worte aus etwas geziemender Entfernung vernommen. Im übrigen war die Luft angenehm trocken und warm in diesem erhellten, gastlichen Zeltpavillon, und sie spürte, wie auf ihrer bloßen Haut die Poren genüßlich aufgingen. Plötzlich aber fuhr ihr ein Schreck durch die Glieder. Etwas gleichermaßen Zartes-Schweres-Kühles hatte ihren nackten Fuß berührt und glitt mit quälender Langsamkeit darüber hin. Der Karpfenkopf-Gastgeber, der ihr Entsetzen bemerkt hatte, beruhigte sie sogleich und sagte: »Das ist nun Jerry selbst, der Eigentümer und Küchenchef unserer freundlichen Herberge. Falls es Ihnen an irgendetwas mangelt, so richten Sie sich freimütig an ihn. Er wird für alles Sorge tragen. Nur daß Sie sich unter Umständen ein wenig gedulden müssen.«

Aha, dachte die Kauffrau, eine Schildkröte führt also dieses Restaurant. Kein Wunder, daß bereits alles aufgetragen ist, bevor man sich zu Tisch setzt, und daß es beinahe alle erdenklichen Leckerbissen gibt, nur keine Schildkrötensuppe! Und auch keinen Fisch!

Sie fühlte sich wohl, und beinahe hätte ein frecher Übermut sie dazu gebracht, ihren Appetit auf einen kapitalen Karpfen anzumelden.

Vor dem geteilten Haupt stand ein silbernes, mit Drähten bespanntes Gestell, ähnlich den Schiebebrettern, an denen Kinder früher das Rechnen erlernten. Doch statt Kugeln waren hier faustgroße Fleischbällchen aufgefädelt, die vermutlich aus verschiedenerlei Würmerhaschee geformt waren. Dies war die Speise des gesitteten Monsters und die allesmißbilligende Karpfenschnute schnappte rüde daran herum. Während der Mahlzeit machte ihr der Mächtige viele Komplimente, lobte ihre Schönheit und versetzte ihr ab und an einen sanften, handkußgleichen Hauch hinter das Ohr. Seltsamerweise lobte er aber auch ihre feingewählte Kleidung — die sie doch gar nicht trug. Es mag wohl so sein, dachte die Frau, daß er mich gegenwärtig gar nicht sieht und also auch nicht bemerkt, wie ungeniert ich mich nackt auf meinem Stuhl rekle.   - Botho Strauß, Der junge Mann. München 1984

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