Traumklassifikation   Was sind Träume? Eine willkürliche Folge von Szenen, die trivial oder tragisch, reisend oder rastend, phantastisch oder vertraut mehr oder weniger glaubhafte Ereignisse darstellen, aus grotesken Details zusammengeflickt sind, und Tote auf neuen Schauplätzen von neuem agieren lassen.

Wenn ich die mehr oder weniger denkwürdigen Träume, die ich während der letzten neun Jahrzehnte hatte, noch einmal betrachte, kann ich sie ihrer Thematik nach in mehrere Kategorien einteilen, worunter zwei die anderen in typologischer Eigenart übertreffen. Es sind die beruflichen und es sind die erotischen Träume. In meinen Zwanzigern kamen die ersten so häufig wie die zweiten vor, und beide hatten ihre einleitenden Gegenstücke, Stunden der Schlaflosigkeit, bedingt entweder durch die Überschwemmung von zehn Stunden beruflicher Arbeit oder durch die Erinnerung an Ardis, die ein Stachel im Ablauf meines Tages bis zum Verrücktwerden wiedererweckt hatte. Nach der Arbeit kämpfte ich gegen die Macht des Gehirnapparats: der Strom des Ersinnens, die Stärke des Satzes, der danach verlangte, gebildet zu werden, waren nicht, für Stunden der Dunkelheit und des Unbehagens, zu drosseln, und selbst wenn ein Ereignis erzielt worden war, so brauste hinter der Wand die Strömung immer noch und immer noch weiter, sogar dann, wenn ich mein Gehirn durch einen Akt der Selbsthypnose' (purer Wille oder Pille halfen nicht länger) in ein anderes Bild, eine andere Meditation einschloß - aber nicht Ardis, nicht Ada, denn das hätte bedeutet, in einem Wasserfall noch schlimmeren Wachseins zu ertrinken, mit Rage und Reue, Verlangen und Verzweiflung, die mich in einen Ab-grund schleuderten, wo die schiere körperliche Entkräftung mich endlich mit Schlaf betäubte.

Zum Beispiel konnte ich in den beruflichen Träumen, die mich besonders verfolgten, als ich an meinem ersten Roman arbeitete und unterwürfig eine sehr fragile Muse anflehte («kniend und die Hände ringend», wie der grauhosige Marmlad vor seiner Marmlady bei Dickens), zusehen, wie ich Fahnenabzüge korrigierte, daß aber irgendwie (das große «Irgendwie» der Träume!) das Buch bereits herausgekommen, buchstäblich herausgekommen war, indem es mir von einer menschlichen Hand aus dem Papierkorb heraus angeboten wurde, in einem perfekten und gräßlich im-perfekten Stadium - mit einem Druckfehler auf jeder Seite, wie beispielsweise das hinterhältige «Folter» statt «Falter» und das bedeutungslose «nuklear» statt «unklare». Oder ich eilte zu einer Vorlesung, die ich zu halten hatte - fühlte mich gereizt durch den Anblick des Verkehrs und der Leute, die mir den Weg versperrten, und stellte dann mit plötzlicher Erleichterung fest, daß ich bloß den Ausdruck «verstopfte Straßen» in meinem Manuskript durchzustreichen brauchte. Was ich als «himmeltürmende» (nicht «himmelstürmende», wie zwei Drittel der Kommilitonen sicherlich notieren werden) Träume kennzeichnen könnte, gehört zu einer Unterabteilung meiner beruflichen Visionen oder stellt vielleicht ein Vorwort für diese dar, denn es geschah am Anfang meiner Pubertät, daß kaum eine Nacht verstrich, ohne daß irgendein Eindruck aus altem oder neuem Wachsein eine weiche, tiefe Verbindung zu meinem noch sprachlosen Genie herstellte (denn wir sind «Van», was sich mit «one» reimt und es in der Tat bedeutet - in Mannas wehloser, tiefvokaliger russischer Aussprache). Das Vorhandensein oder Versprechen von Kunst in jener Art von Traum pflegte im Bild eines bedeckten Himmels zu erscheinen -eines Himmels mit mannigfaltigem Wolkenfutter, ein regloses, doch hoffnungsvolles Weiß, ein hoffnungsloses, doch gleitendes Grau, das Anzeichen artistischer Klärung vorwies, und schon wuchs der Schimmer einer fahlen Sonne durch die schwächere Schicht, nur um von Wolkenfetzen wieder verhüllt zu werden, denn ich war noch nicht bereit.

Verbündet mit den professionellen und beruflichen Träumen sind «ver-dunkel-dammte» Visionen: unheilvolle Alpdrücke, Thalamus-Kalamitäten, bedrohliche Rätsel. Nicht selten ist die Drohung wohlverborgen, und es erweist sich, daß der harmlose Hergang, falls notiert und später nachgelesen, jene Art von vorausahnendem Vorgeschmack hatte, den Dünne mit der Wirklichkeit der «umgekehrten Erinnerung» erklärt hat; aber im Augenblick werde ich mich nicht weiter über das unheimliche Element auslassen, das den Träumen eignet - nicht über die Anmerkung hinaus, daß irgendein Gesetz der Logik die Anzahl von möglichen Zufällen auf einem abgesteckten Gebiet festsetzen sollte, wonach sie aufhören, Zufälle zu sein, und statt dessen den lebendigen Organismus einer neuen Wahrheit bilden («Sagt mir doch», fragt Osbergs kleine Zigeunerin die Mohren El Motela und Kamera, «was genau ist das Minimum an Haaren auf einem Körper, das einem erlaubt, ihn <behaart> zu nennen?»)

Zwischen das Ver-dunkel-dammte und das Beißend-Sinnliche würde ich das «Überblenden» erotischer Zärtlichkeit und herzzerreißenden Zaubers setzen, zufällige frôlements namenloser Mädchen auf nebelhaften Parties, Halb-Lächeln von Anziehung oder Unterwerfung - die Vorläufer oder Echos von tödlichen Träumen der Reue, wenn Reihen zurückweichender Adas mit stummem Vorwurf verblaßten; und Tränen, noch heißer als die im Wachsem vergossenen, schüttelten und verbrühten den armen Van und geisterten bei verqueren Anlässen noch Tage und Wochen durch seine Erinnerung.    - (ada)

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