odesvorstellungen
Eines Abends sagte ich der leuchtend untergehenden Sonne guten Morgen.
Baumwipfel um Baumwipfel bremste ich den weiten Blick und schloß die Augen,
sie nur noch einmal aufzumachen: jetzt. Die dünne Spagatschnur aus der Brusttasche
nehmen. Eine Schlinge knüpfen. Die Schlinge um den Hals legen und den Abhang
hinunterspringen. In meiner Todesnot konnte ich bloß noch das Hosentürchen aufmachen
und den Schwanz herausnehmen, der überraschend lang war. Ich ließ die Hose ganz
herunter und der Schwanz war zum Biegen schlaff genug und steif genug war er
ihn einzuführen, so daß ich mich also selber fickte. Da passierten Dinge. Ich
erzeugte zum Beispiel mehr von diesem schwefelfahlen Gelb als die Sonne wegnahm,
so daß die Sonne auf und nieder ging, als hängte sie an meinem Atem. Ich hatte
natürliche Todesvorstellungen, wie den Zwetschgenbaum der Kindheit. In seinen
spitzwinkeligen Astgabelungen fand der nackte Fuß nur einen schmerzhaften Halt.
Oder den Schullehrer sah ich als Hühnerficker, wie er ein Huhn fickt. Das kriegte
einen Scheidenkrampf und der Schullehrer wußte sich mit dem flatternden Huhn
vor der Hose nicht im ganzen Schulgebäude zu verstecken. Aber jetzt flog in
diese gelbe Ferne ein winziger schwarzer Vogel. Eine Landzunge lag in die Ferne
hinein. Hochhäuser standen auf ihr, die sicher wieder unbegreifliche Sachverhalte
bargen. So zentriert standen sie, als sei der Erdmittelpunkt gleich unter der
Erdoberfläche, wahrscheinlich schon im Keller des senkrechten Baus. Das ist
doch Neapel! Das ist doch Capri! Das sind doch die kurzen Omnibusse auf Capri,
wie durchs Teleobjektiv gesehen. Da muß doch hinter mir der Vesuv sein! Ich
versuchte den vom Regen um-düsterten Vesuv zu umarmen und kam ins Baumeln. Der
Vesuv kam näher und ich fühlte mich kleiner. Da kam um seine schwarze Südflanke
eine gelb gekleidete Frauengestalt: Circumvesuviana, die Hauptdarstellerin -
und trotzdem war sie nicht Maria, von der ich später erzähle. Sie nahm mir mit
aller Vorsicht das Glied heraus und berührte es zärtlich. Da ich schon schwand,
raffte sie ihr Kleid hoch, wo ihr Schoß bereits tropfte. Das erlebst du so schnell
nicht mehr, sagte sie, und führte mich bei sich ein. Der Fluß der ersten drei
Fasen auf einem Atembogen bei wohltönendem Pianissimolegato ist im ganzen Jahrhundert
nicht mehr erreicht worden. Das erlebst du so schnell nicht mehr... -
Herbert Achternbusch, Die Stunde des Todes. Frankfurt am Main 1975
|
||
|
|
|