traßenbahn  Schwerin? Schwerin ist eine Seenplatte. Aber doch: man kann hier grosse Abenteuer erleben, wenn man in die Elektrische steigt. Stellt euch vor: heute mittag, ich fahre und es sind 5 Anhängewagen mit ganz jungen Leuten in Gehröcken und Cylinder. Alle wachsbleich, ganz starr dasitzend, mit Tränensäcken und komplizierten Falten in den Hosen, die Füsse nach innen, dumpf - ich verging vor Angst - woher kommt dieser Wagen? Vom Friedhof! Es waren wohl Tote die auf einige Zeit ihre Gräber verlassen hatten, um ihre geschäftlichen Angelegenheiten zu klären. Endlich, ich frug meinen Nachbarn, stockend: - »Bitte, woher kommen Sie denn?« Da schloss er die Augen, seine Backen zitterten und er öffnete ein farbloses Loch, das wohl früher sein Mund gewesen war und nachdem er dreimal versucht hatte zu lächeln was nicht gelang, sagte er mit einer Aussprache in der die Obertöne zu fehlen schienen: »Concordia!« Ich war sehr erleichtert. Es wurde ein Platz frei und ich sass nun unter den Toten, die nur ab und zu ihren kleinen Finger sehr schnell bewegten. Ich - irgendetwas musste doch geschehn, nicht wahr - ich nahm mich zusammen, frug wieder einen, krampfhaft, er streckte mit sehr viel Mühe seine Zunge aus, einen vertrockneten Schwamm, feuchtete seine nach innengewickelten Lippen und -: »Felicitas!« Dann stiegen sie aus; langsam, nacheinander, gaben sich die Hand und gingen in losen Haufen fort, aber in derselben Richtung. Ich war sehr erschüttert, ich weigerte mich durchaus mir das zu erklären. Ich hätte morden können aus lauter Gleichgültigkeit und Traum. Ich schloss die Augen und sah eine grosse Fahne, schwarz, darauf stand: »Wir werden genesen, denn der Pfau-Engel will uns helfen!«  - Hans Jürgen von der Wense, Von Aas bis Zylinder, Bd. I. Frankfurt am Main 2005

Straßenbahn (2)  Da brauste sie auch schon heran, die Straßenbahn, die auf der neuen Linie von der Jermolajewski-Gasse in die Bronnaja einbog. Gleich hinter der Kurve, wo es geradeaus weiterging, flammte in ihr plötzlich das elektrische Licht auf, und aufheulend legte sie Tempo zu.

Der vorsichtige Berlioz wollte, obwohl er sicher stand, hinters Drehkreuz zurückkehren, legte die Hand auf einen der Holme und trat einen Schritt rückwärts. In diesem Moment glitt seine Hand ab und ließ los, sein Fuß rutschte unaufhaltsam über das eisglatte Pflaster, das sich schräg zu den Schienen hinabsenkte, das andere Bein flog in die Höhe, und Berlioz stürzte auf den Gleiskörper.

Er wollte sich irgendwo festhalten, landete auf dem Rücken und prallte mit dem Hinterkopf nicht sehr heftig gegen das Pflaster. Noch einmal sah er hoch droben, ob rechts oder links, konnte er nicht mehr erkennen, den güldenen Mond. Es gelang ihm, sich auf die Seite zu drehen; mit einer wütenden Bewegung zog er die Beine an den Bauch und erblickte nun die mit unaufhaltsamer Kraft auf ihn zurasende Straßenbahn, das entsetzensbleiche Gesicht der Wagenführerin und ihre rote Armbinde. Berlioz schrie nicht auf, doch ringsum gellte die ganze Straße in hysterischem Frauengekreisch. Die Wagenführerin zog die Schnellbremse, der Wagen kippte mit der Nase nach vorn und wippte danach ein wenig in die Höhe, klirrend und scheppernd flogen die Scheiben aus den Fenstern. Da schrie es verzweifelt in Berlioz' Gehirn: Das Ende etwa? Noch einmal, zum letztenmal, blinkte der Mond auf, aber er zerfiel schon in Scherben, und dann wurde es ganz dunkel.

Die Straßenbahn überrollte Berlioz, unterm Gitter der Patriarchenallee hervor sprang ein dunkler runder Gegenstand die gepflasterte Böschung hinauf, rollte wieder herab und hüpfte über den Fahrdamm.

Es war der abgetrennte Kopf von Berlioz. - (meist)

Straßenbahn (3)  Jeder hat das schon empfunden, der in einer überfüllten Straßenbahn fährt. Mit jeder Haltestelle drängen neue Leute in den Wagen. Zunächst noch mit einer gewissen Verlegenheit, als wollten sie um Entschuldigung bitten. An der nächsten Haltestelle aber sind sie schon in der Verteidigung ihrer Position. Sie schimpfen auf die Neuhinzukommenden. Wäre mehr Platz im Wagen, würden sie auf die Nachdrängenden einschlagen, sie aus dem Wagen wieder hinausdrängen, vom Trittbrett stoßen - - - die Autorität wird angerufen. So ist das mit der Jugend. Sie ist schon von Beginn an Ursache der Platzangst und Gegenstand des Hasses. Auch wenn ich selbst weiß, daß ich zu einer Zeit genauso in den schon überfüllten Wagen eingestiegen und hineingepreßt worden bin. Inzwischen bin ich allerdings schon völlig in den Hintergrund geschoben. Ich bin schon übersehen und vergessen. Es ist dahinten, wo sie sich herumstreiten und puffen. Und sobald ich überhaupt nur aufsehe, ein wenig tiefer Atem hole - - -dahinten steigt immer noch einer ein.  - Franz Jung, Der Weg nach unten. In: Franz Jung, Schriften, Bd. 1, Salzhausen / Frankfurt am Main 1981

Straßenbahn (4)

- Paul Delvaux

Straßenbahn (5)
 

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