Qual der Wahl   Mr. Todhunter will den letzten Monaten, die er noch zu leben hat, einen sinnvollen Inhalt geben: er beschließt, ein gutes Werk zu tun. Und er weiß auch schon ganz genau, was er machen will - jemanden ermorden. Doch damit fängt das Problem auch schon an. Mr. Todhunter weiß nämlich nicht, von wem er die Menschheit befreien soll.  - Waschzettel zu: Anthony Berkeley, Der verschenkte Mord (In: A. B., Der Fall mit den Pralinen. Zürich 1988)

Qual der Wahl  (2) « Das einzige, worüber ich noch unschlüssig bin, ist die Todesart, die ich wählen soll. Mich durch ausströmendes Gas vergiften? Das geht zu langsam. Es ist nicht höflich, den Tod so lange antichambrieren zu lassen, wenn wir es sind, die ihn eingeladen haben; man darf ihn nicht durch die Hintertür eintreten lassen, sondern er muß durch das Hauptportal plötzlich hereinbrechen. Das Ideal wäre, auf hoher See zu sterben. Das ist der schönste Tod. In einem Salon der ersten Klasse sein, in einer zauberhaften Nacht, bei einem dieser Ozean-Feste, fiebernd von Musik, von Bläue, von Ferne und von Schnelligkeit. Inmitten dieser milliardären Frauen sein, die tief ausgeschnitten nur mit Bändern und Diamanten bekleidet sind, von schönen, strahlenden Frauen, die sich für diese Gelegenheit mit Juwelen beschwert und an Jahren erleichtert haben. Herren im Frack, die Geschäfte zwischen zwei Kontinenten vermitteln. Trinksprüche, Champagner, ein Orchester, das einen ragtime spielt, eine Tänzerin, die ihre internationalen Formen auf einer von Palmen umgebenen, von Lampen bekränzten Bühne herumwirbeln läßt. Kosmopolitisches Durcheinander: Chinesen, Neger, Mulatten, Kaufleute, Lebemänner, Diplomaten, Kokotten, die den Erdteil wechseln, um ihren Tarif zu erhöhen oder um neue Jungfrauenschaf ten zu erwerben. Alles Leute, die vom Schicksal, vom Verhängnis unter verschiedenen Vorwänden, aber mit demselben Ziel, dem Tod, auf diesem Schiff zusammengewürfelt wurden.

Plötzlich: ein Stoß. Tausende von Existenzen, die aufschreien, einige Revolverschüsse; und das Wasser dringt ein, wirft alle durcheinander, überspült alle, erstickt die Stimmen, schwemmt die Tische fort, bläht die Teppiche auf, löscht alle Lichter. Und schnell sinkt man, ist begraben unter einem Schleier, unter einer charmeuse von blauem Wasser, während du noch die Rhythmen des ragtime, die dir einen herrlichen Trauermarsch bereiten, in den Ohren hast. Ich glaube, ich könnte sterben, fast ohne mich zu wehren; während die anderen sich wie wahnsinnig in den Wellen winden würden, konnte ich, wenn auch nicht gerade mir eine Zigarette anzünden, so doch sicher mit größtem Phlegma ein Stück ckewing-gum kauen.

Aber was willst du, lieber Nocera? Ich kann diese Todesart nicht wählen, weil ich an Seekrankheit leide.

. So muß ich also auf diesen Tod verzichten, aber glaube mir, es wäre elegant, so im Ozean begraben zu werden, ohne diese Demütigung der Verpackung im Sarg und dem Begräbnis in der Erde, in dieser schmutzigen Sache, die man Humus nennt!

Du, Nocera, wirst derjenige sein, dem meine Leiche zur Last fallen wird. Ich will verbrannt werden.»

«Was für ein Unsinn!»

«Ich weiß es. Jean Moreas sagte: <Ich will verbrannt werden,

gerade weil es idiotisch ist.»>

«Was mich betrifft», meinte Nocera, «so ist es mir ganz gleich, ob man mich in einen Sumpf wirft oder in der Westminster-Abtei

beisetzt.»

«Mir im Gegenteil», erwiderte Tito, «lacht die Vorstellung, diese Heerschar von unterirdischen Würmern hinters Licht zu führen, die schon darauf gerechnet hatten, in meinem Leichnam ein Festmahl abzuhalten. Nach dem Tode verspeist zu werden, ist abstoßend. Bei Lebzeiten nicht. Sieh die Auster an, die lebendig verzehrt wird; was für ein nobles Tier! Du übernimmst also die Last meiner Einäscherung; das ist ein interessantes Schauspiel; hast du es nie gesehen? Der Körper scheint noch lebendig, er erhebt sich, er windet sich, kniet, zieht die Arme zusammen, nimmt komisch obszöne Stellungen ein.»

«Das ist nicht wahr.»

«Wenn du mich verbrennen siehst, wirst du dich davon überzeugen können und wirst mir recht geben. Aber schweifen wir doch nicht ab. Also rate mir eine schöne Todesart.»

«Wirf dich aus dem fünften Stockwerk.»

«Da kann man leicht auf einen fremden Balkon fallen.»

«Wirf dich unter einen Eisenbahnzug.»

«Das habe ich schon einmal versucht. Gefällt mir nicht. Und dann diese Verspätungen...»

Nocera verlor die Geduld: «Ich weiß nicht, was ich dir raten soll. Wenn man so heikel ist, dann bittet man nicht um Rat und bringt sich nicht um. Man lebt.»    - Pitigrilli, Kokain. Reinbek bei Hamburg 1988 (rororo 12225, zuerst 1922)

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