hotosammlung, schopenhauerische
Bis jetzt ist mein Freund Volkmar, von mir abgesehen, der einzige, der
die technischen Bildwerke aus Kiste Fünf, die Daguerreotypien und
Fotografien, im einzelnen durchgesehen hat. Frau Marilyn Heigel hat nur
einmal ganz zu Anfang, bei unserem ersten Kellergang, einen flüchtigen
Blick daraufgeworfen. In ihrem sympathischen, weil akzentgefärbten und
schöpferisch fehlerhaft gebliebenen Deutsch hat sie den Philosophen
angesichts seiner fotografischen Sammlung einen Schmutzmolch genannt.
Zwei Drittel der Aufnahmen zeigen ihn selbst. Sie
stammen allesamt aus seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten. Sitzend
oder stehend hat er sich vor den bildmachenden Apparaturen in Positur
geworfen; das auf eine scharfe Wiedergabe zielende Stillhalten scheint
ihm bis zum Schluß nicht schwergefallen zu sein. Auch auf den
allerletzten, schon todesnahen Aufnahmen, die zum Glück auf den Tag
genau datiert sind, blicken uns überhelle Greisenaugen aus ungebrochen
starrer Miene entgegen. Jedesmal trägt der Philosoph einen
strammsitzenden Rock und einen steilen, steifen Kragen, und nie hat er
das Ins-Bild-Kommen der Hände vergessen, die er in schönen Gesten auf
dem eigenen Leib ruhen oder eine Feder halten läßt.
Die zweite Kategorie der nachgelassenen Bildwerke
hingegen zeigt stets einen nackten Körper. Es handelt sich um eine
ältere, stark beleibte Frau. Immer ist sie auf denselben, mit einem
Orientteppich bedeckten Diwan hingestreckt. Meist stützt sie den Kopf
auf eine Hand; alle Finger sind im dichten, krausen Haupthaar
verschwunden. Ernsthaft lächelnd blickt sie in das Objektiv des
Bildautomaten, in das Auge der Nachwelt. Ich vermute, daß Frau Marilyn
Heigel auch im bescheidenen Licht des Kellers erkannt hat, wer uns hier
anschaut. Volkmar findet die Familienähnlichkeit frappant. Mit der ihm
eigenen Offenheil sagte mir mein Frreund bei einer ersten Durchsicht,
nicht nur im Gesicht, sondern auch im Grundbau und in den Formdetails
der Statur seien sich die Frauen der Dynastie Heigel über ein gutes
Jahrhundert hinweg gleich geblieben.
- Georg Klein, Anrufung des blinden Fisches. Berlin 2000
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