Messerstecher  Sie hatte das Zauberwort ausgesprochen, das verbotene Wort, Polizei, und er beschloß, sie zu töten, denn er war es leid, denn so weit hatte sie ihn gebracht. Man würde ihren Tod dem Messermann zuschreiben, diesem Schwein, der den Frauen die Kehle durchschneidet und ihnen dann die Brüste zerstückelt. Die alte Hexe mußte genauso aufgefunden werden, irgendwo im Wald, aber statt mit der vermeintlichen Mordwaffe, stößt er selbst zu, einmal, nochmal, immer wieder, mit seinem Messer aus weichem Fleisch, einmal, nochmal, immer wieder, die latente, verborgene, offene Wunde, und das vermeintliche Opfer stirbt unter süßen Schreien und lustvollem Stöhnen, mit zuckenden Muskeln, mit strampelnden Beinen, reißt den Vergewaltiger an den Haaren, bettelt um mehr Tod, mehr, mehr, spornt den frustrierten Frauenmörder an, treibt ihn zu wildem Galopp an, bis zur Explosion, der Schrei zerfetzt die Karrosserie des Wagens und zerreißt den weichen Vorhang aus weißem Nebel.

Der Mordversuch endet in einer beruhigenden Zigarettenpause. Die lippenstiftverschmierte Betschwester stößt den Rauch aus und erzählt ihm, daß sie diesen Augenblick schon lange herbeigesehnt habe, und wie er sich nur auf diese Rotzgöre habe einlassen können, und sie habe die Vorstellung, einen Gigolo zu haben, immer schon sehr aufregend gefunden. Und der erschöpfte, überwältigte Gigolo raucht und versucht zu begreifen, was geschehen ist, und in seiner Phantasie malt er sich ein neues Leben mit goldenen Uhren, maßgeschneiderten Anzügen, Hemden, Krawatten, Restaurants, Yachten, Reisen und allen möglichen Kapriolen aus, denn er weiß nicht, daß man ihn eines Tages, nach zwei oder drei Monaten mystischer Erfahrungen, elektrisierender Orgasmen, kamasutrischer Experimente in seidigen Bettlaken, eines Tages, wenn der Messermann mit seinem ersten männlichen Opfer den Weg bahnt, so auffinden wird, wie man eigentlich sie hätte finden sollen, mit durchgeschnittener Kehle, die behaarte Brust von bestialischen Stichwunden entstellt. „Das neunte Opfer ist ein Mann", „Messermann erweitert die Fronten".  - Andreu Martín, Die Stadt, das Messer und der Tod. Bühl-Moos, Baden-Baden  1994

 

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