ämmergeier Hinter meinem Rücken ertönte ein heiseres Gekrächze, und die Luft geriet in Bewegung. Ich drehte mich um und kam auf den Boden zu sitzen. Oben auf dem Ofen hatte es sich ein riesiger Lämmergeier bequem gemacht. Er hatte einen langen nackten Hals und einen gefährlich gekrümmten Schnabel.
»Guten Tag«, sagte ich automatisch. Ich war der festen Überzeugung, daß ich es mit einem sprechenden Geier zu tun hatte, einem Greif vielleicht. Der Geier legte den Kopf zur Seite, betrachtete mich mit einem Auge und wurde dadurch einem Huhn sehr ähnlich.
Ich begrüßte ihn mit einer freundlichen Handbewegung. Der Geier öffnete seinen Schnabel, es kam aber nichts Vernünftiges daraus hervor. Er hob einen Flügel und schien mit klapperndem Schnabel etwas darunter zu suchen. Der Zylinder tänzelte noch immer auf der Stelle und gab sein gewohntes Rascheln von sich. Der Riesenvogel glättete wieder sein Gefieder, zog den Kopf ein und bedeckte seine Augen mit einem gelben Schleier. Ich nahm wieder meinen Besen und beendete die Reinigung meines Zimmers, wobei ich versuchte, das Tier nicht aus den Augen zu lassen. Dann warf ich den Mist in das regnerische Halbdunkel zur Tür hinaus.
Der Geier schlief, und es roch nach Ozon. Ich schaute auf die Uhr. Es war
jetzt 20 Minuten nach zwölf. Ich verharrte noch ein wenig über dem Zylinder,
der noch immer nicht zur Ruhe gekommen war, und ließ mir das Gesetz von der
Erhaltung der Materie und der Energie durch den Kopf gehen. Ein Geier wird sich
ja schwerlich aus dem Nichts kondensieren. Wenn der gegebene Geier hier in Solovec
auftaucht, so bedeutet das, daß irgendein Geier (nicht unbedingt das gegebene
Exemplar) im Kaukasus, oder wo sie eben vorkommen, verschwinden muß. Dieser
Zylinder! Am besten, ich rühr' ihn gar nicht mehr an. Am besten, ich decke ihn
mit etwas zu, soll er bleiben, wo er ist. Ich holte aus dem Vorhaus den Blechnapf,
hielt den Atem an, zielte genau und stülpte den Napf über den Zylinder. Dann
ließ ich mich auf den Schemel nieder, zündete mir eine Zigarette an und wartete,
was da wohl noch alles kommen würde. Der Geier schnarchte
ausdrucksvoll. -
Arkadi und Boris Strugatzki, Montag beginnt am Samstag. Frankfurt am Main
1982 (st 780, Phantastische Bibliothek 72)
Lämmergeier (2) Und einmal kam
ein großer Lämmergeier aus der Luft, warf sich auf ein junges Tier, Hubeane
sah freundlich zu unter seinem Baume, wie der Geier das Tierchen packte und
davonflog. Er lachte über das schreiende Lämmchen: «Warum
schreit das Lämmchen. Jetzt fliegt es mit dem Vögclchen durch die Luft und schreit
noch.» Der Geier kam nachmittags wieder. Strich sehr nahe über Hubeanes Sitz.
Da dachte der: «Ich fang ihn.» Machte seinen Gürtel ab, hielt den dicken Stecken
in der Hand, schlug zweimal dreimal auf den herunterstoßenden Geier, schlug
ihn nieder. Dann band er ihn an seine Jacke. Der Geier an der Schnur fuhr hackend
gegen ihn an, zerbiß, ihm die Arme, riß ihm die Kleider entzwei. Hubeane kämpfte
den ganzen Nachmittag, erschöpfte sich. Er hatte Mühe abends, mit dem Raubtier
springend fallend und es niederdrückend, seine Herde nach Hause zu treiben.
Die Hunde liefen bläffend um ihn. Kreischend empfingen ihn, der blutete, die
Kleider zerrissen hatte, die Frauen am Eingang des Dorfes. Er, immer schlagend,
keuchte stürzte: «Es ist nichts. Es ist nichts. Ein Vögelchen. Man darf nicht
schreien. Ich hab es angebunden.» Und ließ sich auch nachher nicht davon abbringen,
als man ihm sagte, daß der Vogel ein Lämmchen davongetragen und ihn fast umgebracht
hatte. «Das Vögelchen?»Hubeane ließ sich staunend verbinden, betrachtete vorwurfsvoll
seine Mutter. - (gig)
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