ähzorn
Noch lange hatte sich C. über seinen Jähzorn geärgert. Dieser war
auch etwas, das er von seinem Großvater geerbt hatte, aller Wahrscheinlichkeit
nach, oder das er sich von ihm abgeschaut hatte. Und es war eine nicht ungefährliche
Sache: Da schlägt man einem die Zähne ein, oder man schlägt ihn gar tot, und
kann dann dafür bezahlen! Kein Mensch nimmt dir ab, daß du gegen diese Wut gar
nichts machen kannst, daß sie dir in Fleisch und Blut steckt. Und daß diese
Wut aus Erinnerungen besteht, die vielleicht gar nicht deine eigenen Erinnerungen
sind, Ahnungen oder Erinnerungen, die in dir versenkt worden sind, ohne daß
du wirklich etwas darüber weißt. Ohne daß du es weißt, ruht in dir eine Zeitbombe,
über Jahre, über Jahrzehnte tickt sie in dir, und du spürst es nicht. Aber irgendwann
krepiert sie und sie bringt einen Unschuldigen um! dachte C. Und du kannst dich
noch glücklich schätzen, wenn du nur für zehn oder zwölf Jahre in den Knast
einfährst ... und womöglich im Knast weiter heizen mußt, vor einer noch älteren
und noch miserableren Anlage, weil du dafür qualifiziert bist. -
Wolfgang Hilbig, Die Erinnerungen. In: W.H., Der Schlaf der Gerechten.
Frankfurt am Main 2003
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