Haut, kalte ranzige   »Und weißt du, was Luigi d'Agata und Turi Grassi am zweiten Abend machten?... Sie versteckten sich in dein Kämmerchen, und als die Ärmste hypnotisiert mit ausgestreckten Händen und geschlossenen Augen erschien, nahm einer von ihnen, ich weiß nicht mehr wer, sie ohne alle Umstände und vernaschte sie in aller Bequemlichkeit.«

»Was erzählst du mir da? Ich bin starr vor Staunen. Und die Frau wachte nicht auf?«

»Was soll ich dir sagen? Sie wachte nicht auf, oder sie tat, als ob sie weiterschliefe, um keinen Skandal zu machen und ihr Brot nicht zu verlieren... oder weil es ihr gefiel.«

»Na schön... Und du?«

»Mich hatte diese Erzählung sehr erregt, und ich hatte das Gefühl, ein Feuertropfen sei mir aufs Fleisch gefallen.

Mein Gott, welche Erregung! Nachts ging ich ganz allein in den Wald. Der Mond stand über den Dolomiten, die Bäume dufteten, und ganz hinten im Wald verhallten die Klänge einer Musikkapelle, die von Collalbo ins Nachbardorf zog. Etwas tat sich wahrhaftig in meinem Blut, und meine Augen und Ohren, die zur dermaleinstigen Seligkeit zurückzukehren schienen, als mich irgendein Ton oder ein Lichtstrahl in Ekstase versetzte, bestätigten mir das...«

»Erzähle«, ermunterte ihn der Onkel, »hör nicht auf.«

»Hier muß ich aber aufhören, denn dabei blieb es, und mehr geschah nicht. Mehr als dies geschah nicht. Die Hoffnung erfüllte sich nicht. Mein Blut erkaltete von neuem, wieder fühlte ich, daß zwischen mir und jenem Teil meines Körpers ein Messer steckte.«

»Beim Blut des Judas!« rief der Onkel, »ja, wahrhaftig beim Blut des Judas... Und dann... Entschuldige, Lieber, wenn ich diese Frage wiederhole, aber ich habe dich zu gern und würde die wenigen Monate, die mir noch zu leben bleiben, dafür hingeben, um zu erfahren, daß die Dinge später gut gingen.«

»Lieber Onkel«, sagte Antonio und drückte ihm von neuem die Hand, »nachher gingen die Dinge schlecht, wie vorher. Du kannst mich nicht ganz verstehen...«

»Doch, ich verstehe dich.«

»Nein, du weißt nicht, wie dieses Leiden ist. Ein Toter mitten in deinem Leben, ein Leichnam, der so daliegt, daß du ihn bei jeder Bewegung streifst und seine kalte und ranzige Haut spürst.«  - Vitaliano Brancati, Schöner Antonio. Nördlingen 1985 (Die Andere Bibliothek 7)

Haut


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