Geweckt werden   Zum Zwecke, M. Valdemar aus der mesmerischen Trance zu lösen, machte ich von den gewohnten Strichen Gebrauch. Diese waren eine Zeitlang ohne jede Wirkung. Das erste Anzeichen von wiederkehrendem Leben bestand in einem teilweisen Heruntersinken der Iris. Als vornehmlich bemerkenswert wurde beobachtet, daß diese Pupillensenkung vom reichlichen Ausfluß eines gelb-eitrigen Blutwassers (unter den Lidern her) begleitet war, welches einen scharfen und höchst widerwärtigen Geruchverbreitete.

Es wurde nun angeregt, ich solle wie seinerzeit noch einmal versuchen, des Patienten Arm zu beeinflussen. Ich unternahm diesen Versuch, doch schlug er fehl. Darauf äußerte Dr. F— den Wunsch, ich möchte noch eine Frage stellen. Das tat ich denn auch, wie folgt:

«M. Valdemar, können Sie uns erklären, was gegenwärtig Ihre Gefühle und Wünsche sind?»

Im Augenblick erschienen die hektischen Kreise auf den Wangen wieder; die Zunge zitterte oder vielmehr rollte heftig im Munde hin und her (obschon die Kinnbacken und Lippen so starr blieben als zuvor); und schließlich brach die nämliche grauenvolle Stimme aus ihm heraus, die ich bereits beschrieben habe:

«Um Gottes willen! - rasch! - rasch! - versenken Sie mich wieder in Schlaf- oder, rasch! - wecken Sie mich auf! - rasch! - Ich sage Ihnen, ich bin tot!»

Ich war wie vor den Kopf geschlagen und blieb einen Augenblick lang völlig ratlos, was ich tun sollte. Zuerst unternahm ich einen angestrengten Versuch, den Patienten wieder zu beruhigen; doch als mir dies aufgrund totaler Willenserschöpfung nicht gelingen wollte, ging ich den umgekehrten Weg und versuchte nun mit ebensolcher Anspannung, ihn aufzuwecken. Bald sah ich auch, daß ich damit Erfolg haben würde - oder wenigstens bildete ich mir ein, daß mein Erfolg vollkommen sein würde - und ich bin sicher, daß alle im Räume Anwesenden damit rechneten, den Patienten erwachen zu sehen.

Aber was dann wirklich geschah - nein, damit hatte kein menschliches Wesen auch nur im entferntesten rechnen können.

Als ich in aller Schnelle die mesmerischen Striche machte, derweil von der Zunge - nicht von den Lippen - des Leidenden die Ausrufe «tot! tot!» förmlich hervor brachen, geschah's auf einmal, innerhalb einer einzigen Minute, oder gar noch schneller, daß mir sein ganzer Leib unter den Händen schrumpfte - verfiel - verweste. Dort auf dem Bette, vor der ganzen Gesellschaft, da lag eine nahezu flüssige Masse von widerlicher - von abscheulicher Fäulnis.  - Edgar Allan Poe, Die Tatsachen im Fall Valdemar. Nach (poe)

Geweckt werden (2)

Erwachen

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